Digitale Glücksmomente

Die Pandemie mit ihren immer neuen Covid-Varianten lässt uns noch immer nicht los. Inzwischen sind zwar Gastronomie-Sperrstunden, Home-Working und Kontaktbeschränkungen, die nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens durcheinandergewirbelt haben, weitgehend weggefallen. Dennoch haben zahlreiche Gastronomen bereits das Handtuch geworfen.

Aber abseits aller Beschränkungen, die lang genug anhielten, schlug auch die Stunde für ein neues Genuss-Format: Das Online-Tasting. Mit digitalen Bierverkostungen konnten in den vergangenen Monaten wenigstens Weihnachtsfeiern, Firmenevents, Stammtische oder Geburtstagspartys auf digitalen Plattformen stattfinden und viele Bierfans begeistern. Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine virtuelle Bier-Degustation stattfindet. Craftbrauer, Händler und auch Biersommeliers, die wegen der Pandemie kaum persönlichen Kontakt zu ihren Kunden halten konnten, sahen und sehen darin eine Chance, ihre Klientel bei Laune zu halten und um neue Zielgruppen zu gewinnen. Unternehmen nutzen das Format auch weiterhin, um ihre im Home-Office-Mitarbeiter im Sinne von Teambuilding zusammenzubringen.

Aus den anfänglichen Online-Tastings entwickelte sich zudem ein Trend: So treffen sich inzwischen Firmenabteilungen sowie Privatpersonen, die irgendwo in der ganzen Welt versprengt sind, regelmäßig zu digitalen Bierabenden. In geselliger Runde mit Gleichgesinnten vor dem Bildschirm ein Glas zu heben und sich über den Inhalt auszutauschen, schafft ganz neue Glücksmomente. Entscheidend bei solchen Tastings ist jedoch die professionelle Begleitung durch ausgebildete Bierexperten. Denn: manche Sude sind immer noch sehr erklärungsbedürftig.

Sicher, eine digitale Bierprobe kann ein analoges Event, bei dem man gemeinsam an einem Tisch sitzt und die Gläser erklingen lässt, nur schwer ersetzen. Aber klar ist auch, in Zeiten von Pandemien, zunehmender Globalisierung und schnellen Innovationsprüngen in den virtuellen Welten, werden Online-Tastings genauso zum Alltag der Craftbier-Community gehören wie der Hopfen im Sud.

Homebrewing: Blütezeit

Nach der hoffentlich bald abklingenden Corona-Epidemie mit ihren schmerzhaften Lockdowns, scheint es an der Zeit, eine kurze Inventur zur aktuellen Situation der Craftbier-Szene zu machen. Schließlich gibt es – nachdem viele Nachwuchsbrauer mit brutalen Absatzeinbrüchen zeitweilig am Abgrund balancierten – derzeit sehr erfreuliche Botschaften: Die meisten Kneipen, Bars und Pubs haben wieder geöffnet, die Zapfhähne glühen weitgehend und der Bierabsatz steigt in erfreuliche Dimensionen.

Vielleicht ist es eine Binse: Aber jede Krise birgt auch Chancen und Perspektiven. Während in den Covid-Lockdowns die komplette Gastronomie geschlossen war, begannen immer mehr Leute zuhause in Kellern, Gärten und Garagen ihr eigenes Bier zu brauen. Die außergewöhnliche Dynamik im Hobbybrauerbereich ließ vor allem die Betreiber von Homebrew-Shops immer neue Bestmarken bejubeln. Nie zuvor wurden so viele Brau-Sets, Kessel und Rohstoffe bestellt, wie in den vergangenen eineinhalb Jahren.  

Mit dieser Entwicklung nehmen auch die Online-Communities der Heimbrauer-Bewegung richtig Fahrt auf. Im Netz kursieren inzwischen Vereinigungen mit deutlich mehr als 10.000 Mitgliedern, die sich über Rezepte, Equipment und Brauvorgänge austauschen. Allein bei Facebook hat die Hobbybrauer-Gruppe während der Pandemie einen Zuwachs von 5000 Mitgliedern bekommen und kann sich aktuell über rund 13.000 Interessenten freuen.

Wer auf die Entstehungsgeschichte der Craftbier-Szene in den USA zurückblickt, der weiß, dass die Bewegung einst vor allem durch umtriebige Homebrewer entstanden ist, die zunächst in kleinen Kesseln ihre ersten Sude anrührten und später ihre eigenen Braustätten eröffneten. Die meisten von ihnen zählen heute zu den erfolgreichsten Brauern der Welt. So lassen die Perspektiven der Nach-Corona-Zeit hierzulande erwarten, dass sich aus dem Potential der engagierten Nachwuchsbrauer ein neuer Kreativ-Boom mit vielen neuen Marken und Braustätten entwickelt. Craftbier-Fans können also demnächst auf viele neue, interessante Sude freuen.

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.

Kommentar: Das Schweigen der Zapfhähne

Es ist ein wahrlich bedenklicher Zustand: Dreiviertel aller Gastronomen fürchten wegen andauernder Covid-19-Beschränkungen und daraus resultierenden Umsatzeinbrüchen inzwischen um den Fortbestand ihrer Betriebe, wie aktuelle Umfragen der Branchenverbände ergeben. Es müsse sogar damit gerechnet werden, dass jeder vierte Betrieb in Insolvenz gehe.

Der Eiertanz der Bundesländer zwischen Geboten und Verboten, mit seinen Ausgangssperren, Maskenpflichten und Kontaktbeschränkungen, nervt inzwischen die ganze Szene rund ums Bier und schürt Insolvenzängste. Besonders betroffen sind Brauereien mit angeschlossener Gastronomie. Ihnen fehlt durch das Corona-Chaos im Lande derzeit jegliche Planungssicherheit. Die gesamte Branche – Wirte wie Brauer – fühlt sich von der Politik allein gelassen und wegen neuer Virus-Mutationen grassiert bereits die Angst vor dem nächsten Lockdown.

Dabei haben sich insbesondere die Gastronomen, wie kaum eine andere Berufsgruppe, geradezu heldenhaft an die strengen Corona-Auflagen gehalten. Sie haben Hygienevorschriften und Maskenpflichten zementiert, Trennwände installiert, Tische versetzt, sowie neue Heizsysteme und Luftreiniger gekauft. Da trotzdem die Zapfhähne schweigen müssen, versuchen viele Betreiber das Geschäft irgendwie noch mit To-Go-Angeboten am Laufen zu halten – aber die Einnahmen decken nicht einmal die Kosten.

Zwar wurden den Gastronomen großzügige Finanzhilfen versprochen, doch vielerorts werden – wegen angeblich mangelhafter Software – Abschlagszahlungen entweder gar nicht oder nur scheibchenweise ausgezahlt. Das alles ist ziemlich peinlich für diesen Staat. 

Viele Gastronomen und Brauer denken gerade darüber nach, das Handtuch zu werfen. Aber trotz all dieser Umstände wäre ein unüberlegtes Kapitulieren definitiv der falsche Weg. Auch die Welt vor exakt hundert Jahren war von Unternehmenspleiten, Massenentlassungen und einer spanischen Grippe-Pandemie geprägt, die mehr als zwanzig Millionen Tote forderte. Danach begannen jedoch die golden zwanziger Jahre, in denen das Leben in den Städten tobte wie nie zuvor und die Zapfhähne in den Taprooms, Bierbars und Szene-Kneipen wieder glühten.

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.

Kommentar: Hopfen aus der Heimat

Wie in den vergangenen Jahren, war ich auch in diesem Herbst wieder bei der Hopfenernte in der Hallertau dabei. Obwohl die Ernte mit durchschnittlichen Erträgen gut verlief, zeigen sich Produzenten hinsichtlich der Nachfrage aus der Craft-Branche jedoch eher enttäuscht. Der Grund: Als die junge Bierszene hierzulande in Fahrt kam, haben manche Hopfenbauern noch voller Enthusiasmus ihre Felder gerodet und neue Aromasorten angepflanzt, um kreativen Jungbrauern eine Alternative zu bieten. Anfangs war die Begeisterung noch groß, als neue Hopfenspezis wie Mandarina Bavaria, Hüll Melon, Hallertauer Blanc oder Monroe in den Sud kamen.

Demotivierend für einige, die am deutschen Hopfenmarkt agieren, ist nunmehr die Tatsache, dass viele Craft-Brauer ihr grünes Gold derzeit lieber aus den USA beziehen als auf regionale Spezialitäten zu setzen. Ihr Argument: Hopfengewächse etwa aus dem Yakima Valley sind meist aromatischer und kommen mit speziellen Noten daher, die unvergleichbar sind.

Das mag nicht grundsätzlich falsch sein, aber: In den vergangenen Wochen habe ich bei Tastings fantastische Biere mit deutschen Flavour-Sorten wie Callista und Ariana probiert. Keine Frage, auch die Dolden aus der Hallertau, Tettnang oder der Elbe-Saale-Region bringen tolle Fruchtnoten ins Bier. Dabei muss es nicht immer um Fruchtbomben aus Übersee gehen.

Fakt ist: Deutsche Hopfenbauern sind seit jeher – bedingt durch ihr spezielles Terroir – spezialisiert auf filigrane Aromen. Darin liegt auch eine Chance für Craft-Brauer, wenn sie mit viel Kreativität daraus etwas Besonderes machen und sich dabei an der hiesigen Hopfenqualität orientieren. Schließlich geht es in unserer Konsumgesellschaft doch seit Jahren um Nachhaltigkeit und Regionalität. Warum also müssen wir uns vorrangig an amerikanischen Hopfenmustern orientieren, zumal auch hiesige Gewächse schmackhafte Fruchtnoten in den Sud zaubern? Vor allem ließen sich Biere mit heimischen Sorten auch für potenzielle Konsumenten vielleicht preislich deutlich attraktiver gestalten.

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.

Kommentar: Keine Panikmache

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Nein, Corona ist noch nicht vorbei. Auch wenn der Bierabsatz hierzulande im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr insgesamt um fast sieben Prozent eingebrochen ist, so können zumindest Craft-Brauer beruhigt durchatmen. Neben kleineren Kollateralschaden sind sie bislang keineswegs so hart betroffen, wie anfangs prophezeit. Vielmehr trifft der Einbruch vor allem Großbrauereien und Gastronomie mit voller Wucht.

Fest steht jedoch: Nur weil draußen eine Covid19-Pandemie tobt, ist die Lust auf kreative Sude niemand vergangen. Entlassungen und Kurzarbeit in der Wirtschaft haben dazu geführt, dass insbesondere Homeworker viel mehr Craftbiere zuhause konsumieren als jemals zuvor.  

Gewinner der aktuellen Krise sind deshalb vor allem die Online-Biershops. Was wegen dem Lockdown durch fehlende Absätze in der Gastronomie verloren ging, konnten viele Craft-Brauer über das Internet-Geschäft weitgehend kompensieren. Corona-bedingt wird hier derzeit mehr Bier verkauft als sich die Betreiber wohl je erhofften. Nebeneffekt: Seitdem der Internetverkauf brummt, nehmen jetzt sogar renommierte Gourmet-, Wein- und Spirituosen-Portale kreative Sude in ihr Angebot auf.

Leidtragender der Covid19-Epidemie ist jedoch noch immer die Gastronomie. Aber seitdem nach Beendigung des Lockdowns die Beschränkungen gelockert wurden, Craft-Kneipen, Wirtshäuser und Biergärten wieder öffnen dürfen, geht es auch hier langsam bergauf. Inzwischen sind in der Szene viele neue Ideen entstanden, die sich auch nach der Epidemie für den Craft-Fan nachhaltig auswirken dürften.

Was wirklich wehtut, sind die Absagen der vielen Craftbier-Feste. Aber die Verschnaufpause nutzen viele Kreativ-Brauer, um Neuausrichtungen ihrer Marke vorzunehmen sowie mit solider Planung ihr Zukunftsgeschäfts zu gestalten. Außerdem brodelt es derzeit kräftig in den Versuchskesseln und die Craft-Gemeinde kann sich auf viele neue Sude freuen. Also: Keine Panikmache, bleibt optimistisch – Maske aufsetzen, Abstand halten und weitertrinken.

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.

Kommentar: Stunde der Kreativen

Ein Taifun fegt derzeit über die Craftbier-Szene hinweg und hinterlässt überall schwere Verwüstungen. Sein Name: Covid-19. Bars, Kneipen, und Restaurants mussten quasi über Nacht schließen. Brauereien und Gastronomie kämpfen mit Kurzarbeit und Entlassungen. Lieferketten brechen weg, Absatzzahlen gehen in den Keller und der Export erlebt eine Vollbremsung. Und alle Craftbier-Events wurden abgesagt. Besonders schlimm: die komplette Stornierung von Aufträgen bei Fass-Ware. Zahlreiche Braustätten müssen deshalb ihre Produktion herunterfahren oder zumindest vorübergehend stilllegen.

Das teuflische Corona-Virus trifft alle Player in der noch jungen Craftbier-Branche gleichermaßen hart und unvorbereitet: Brauer, Händler, Gastronomen, Biersommeliers und viele andere. Am härtesten hat es aber Craft-Produzenten erwischt, die über finanzielle Verpflichtungen erst jüngst ihre eigene Braustätte errichteten. Allein Gypsy-Brauer mit schlanken Kostenstrukturen und wenig Personalaufwand dürften die derzeitige Absatzflaute deutlich besser überstehen.

Jede Krise kennt Sieger und Verlierer. Kreative Brauer nutzen die erzwungene Corona-Pause aktiv und tüfteln an neuen Vertriebsideen. So finden im Internet derzeit die ersten Bierfestivals statt, hauseigene Online-Shops oder neue Internet-Pubs entstehen und über Videoportale werden virtuelle Brauereiführungen und Verkostungen mit Live-Musik sowie Food-Pairings angeboten. Inmitten des Taifuns spüren viele Brauer – insbesondere auf allen Social-Media-Kanälen – derzeit eine große Welle der Solidarität.

Das stimmt zuversichtlich: Wenn der ganze Covid-19 -Wahnsinn vorbei ist, dürfte die Craft-Community im Idealfall von den jetzt erprobten Konzepten nachhaltig profitieren. Nach dem Lockdown wird ein neues Lebensgefühl entstehen und die Menschen werden wieder rausgehen, feiern und ihr Bier unter Freunden trinken. Im Übrigen gilt: Bier hat in seiner Geschichte schon so einige Pandemien überstanden – sogar Pest und Cholera.

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.

Kommentar: Craft-Freude ohne Dröhnung

Ein paar Beispiele für alkoholfreie Kreativsude

Wer früher ein alkoholfreies Bier an der Theke bestellte, konnte sich vor boshaften Diskriminierungen seiner Kumpels kaum retten: Warmduscher, Muschelschieber oder Schattenparker gehörten da noch zu den harmloseren Bemerkungen. Solche Attacken zeugten meist von peinlicher Unkenntnis, begleitet von Vorurteilen aus der Bierwelt von gestern.

Tatsächlich ist es noch gar nicht so lange her, dass alkoholfreie Sude als charakterlos und weitgehend genussfrei galten. Doch seit Craft-Brauer solche umdrehungsarmen Biere in ihr Portfolio aufgenommen haben, gibt es spannende Alternativen. Was einst als lahme Malzbrühe galt, ist dank intelligenter Rohstoffkombinationen zum hocharomatischen Trunk geworden. Vor allem Varianten mit speziellen Hefekulturen, die einen geringen Vergärungsgrad aufweisen, machen moderne Alkoholfreie zu wahren Geschmacksturbos, die nicht selten mit Aromen von Ananas, Kaffee oder Maracuja spielen. Ein Unterschied zu den stärkeren Verwandten ist da kaum noch festzustellen.

Kein Wunder also, dass selbst bei sinkenden Bierkonsum die „bleifreien“ Sude hierzulande immer beliebter werden. Immerhin tranken die Deutschen 2018 schon mehr als sechs Millionen Hektoliter. Aber immerhin soll es inzwischen rund 500 verschiedene alkoholfreie Sorten geben – darunter nicht nur Pils, Helles und Weißbier, sondern auch IPA, Porter oder Stout. Fest steht: Alkoholfreie Sude mit Kreativ-Touch sind mittlerweile fester Bestandteil der Getränkekarten in Bars, Kneipen und Restaurants.

Das ist keineswegs eine Frage von Fitnesstrend und Gesundheitsboom. Vielmehr werden die Alkoholfreien auch für Genusstrinker immer interessanter. Davon partizipieren vor allem Craft-Brauer, die mit hopfen- und malzstarken Alternativen punkten sowie sicherlich noch einige spannende Vertreter produzieren. Auch wenn eingefleischte Hop-Guys alkoholfreie Biere noch immer als „No-Go“-Drink bezeichnen, so ist ein wesentlicher Vorteil doch unbestrittenen: Selbst nach dem zehnten Glas in der Stammkneipe kann man noch im eigenen PKW nach Hause fahren.

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.

Kommentar: Stunde der Propheten

So mancher Craft-Fan dürfte erstaunt darüber sein, was selbsternannte Marktpropheten in letzter Zeit an Hiobsbotschaften über die Craft-Szene so rausposaunen: Demnach schwächelt der Absatz im Handel, die Branche habe ihren Zenit erreicht und alles in allem sei der Hype bei Kreativbieren inzwischen vorbei. Nach neusten Erhebungen des Marktforschungsinstituts Nielsen wurde 2018 im deutschen Einzelhandel angeblich erstmals weniger Craft-Bier verkauft als noch im Jahr zuvor. Der Markt für Craft-Biere – so das Urteil – befinde sich im Stadium der Konsolidierung.

Wir sollten uns grundsätzlich von solchen Umfragen nicht verunsichern lassen. Selbst wenn der Handel über sinkende Umsätze klagt, so darf man die vielen Craft-Events nicht vergessen, bei denen an einem Tag manchmal mehr ausgeschenkt wird als so mancher Supermarkt im ganzen Jahr verkauft. Vielmehr sollte der Einzelhandel auch mal über eine bessere Beratung zum Thema Kreativbiere nachdenken. Nur mal eben ein Regal mit alternativen Suden aufzustellen, reicht eben nicht aus.

Wenn sich der weltweit größte Braukonzern AB InBev an einem deutschen Craft-Pionier wie der Münchner Crew Republic beteiligt, mit Brewdog die wohl größte europäische Craft-Brauerei massiv in Berlin investiert, immer mehr Traditionsbrauereien sich an neue Hopfenbomben heranwagen und selbst einschlägige Braugiganten mit neuen Suden werben, kann das nicht bedeuten, dass ein Markt rückläufig ist. Ganz im Gegenteil. Forschungsergebnisse des renommierten Marktforschungsinstituts Mintel besagen vielmehr, dass Europa – und hier insbesondere Deutschland – inzwischen bei Produkteinführungen von Craft-Bieren sogar weitaus innovativer ist als Nordamerika.

Klar ist, der noch junge Craft-Markt durchlebt – wie auch jede andere Branche in ihren Anfangsjahren – gewisse Veränderungsprozesse. Konsolidierung ist dabei ein ganz normaler Prozess. Kreativbiere, so das Urteil wahrer Marktkenner, sind in der Gesellschaft angekommen. Definitiv! Auch wenn der Einzelhandel noch hinterherhinkt, steht fest: Der deutsche Craft-Biermarkt wird weiterwachsen und sich innerhalb einer Genussbranche weiter als feste Größe etablieren.

Erschienen in Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.

Kommentar: Zerplatzte Träume

Wer jemals einen öffentlichen Auftritt von Greg Koch erlebte, wird diesen wohl so schnell nicht vergessen: Der in der Branche wegen Langmähne und Rauschebart als „Bier-Jesus“ gefeierte Chef der amerikanischen Craft-Schmiede Stone Brewing, ließ gern symbolisch mit Hilfe von Gabelstaplern auch mal internationale Standardbiere mit zentnerschweren Felsbrocken zertrümmern. Deutschland war für ihn ein „altes und müdes Bierland“, welches er revolutionieren wollte.

Eigentlich hätte Koch solch markige Sprüche gar nicht nötig, denn sein Brau-Team überraschte immer wieder mit ganz wundervollen, wenn auch sehr starken Charakter-Bieren. Trotz toller Ideen und Innovationen, in der Bundeshauptstadt ein neues Biermekka für Craft-Fans aus ganz Europa zu schaffen, ist jetzt sein Traum zerplatzt. In der historischen Gasfabrik in Berlin-Mariendorf blieben leider die Pilger aus. Dass der Biertempel – nach nur 3-jährigen Engagement – an die schottische Kreativschmiede Brewdog verkauft wurde, bringt dem Stone-Gründer nun viel unberechtigte Häme ein.

Immerhin bekennt Koch, dass er sich mit seinem Projekt ziemlich verhoben hat, sein Vorhaben „zu groß, zu mutig und zu früh“ angegangen wurde. Aber er hat wohl auch die Einzigartigkeit der deutschen Bierbranche mit ihren weit über tausend regionalen Spezialitätenbrauereien etwas unterschätzt. Diese Bastion zu erobern, geht nicht allein mit hohem Dollar-Einsatz und Hauruck-Aktionen, sondern nur mit viel Geduld.

Die beiden Brewdog-Chefs, James Watt und Martin Dickie, haben offensichtlich eine etwas bessere Bodenhaftung als der extrovertierte US-Amerikaner Koch. Egal ob nun bei den Schotten ein voraussichtlicher Brexit bei diesem Deal eine Rolle spielt oder ob es nur ein cleverer Schachzug ist, um im deutschen Biermarkt sesshaft zu werden: Feinfühlig, bescheiden und mit weniger Tamtam haben sie ihre Ziele für Berlin formuliert (siehe auch Interview unter www.meininger.de). Craft-Fans dürfen nun gespannt darauf sein, mit welchen Ideen das Brewdog-Team die deutsche Craft-Szene aufmischen wird.  

Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.

Kommentar: Alles Quatsch!

Es ist kein Geheimnis, dass mit dem Erfolg der Craft-Bewegung auch Frauen wieder Geschmack am Bier gefunden haben – und zwar nicht nur als Konsumentinnen. Sie mischen als Kreativ-Brauerinnen die Szene auf, betätigen sich als Biersommelière und Craft-Bloggerinnen oder übernehmen die Brauereien ihrer Vorväter. Ihre Zahl nimmt dynamisch zu, seitdem sich Bier wieder deutlicher als Genussgetränk definiert.

Und schon tauchen in den Regalen immer mehr Hopfensäfte in verkorkten Champagnerflaschen auf, die mit klangvollem Produktnamen als spezielles Lady-Bier angeboten werden. Auf pinken Etiketten prangen neben viel Chichi-Symbolik sogar pudelnackte Romeos. Der Trend zieht sich bis in die Niederungen kleiner Landbrauereien. Vieles davon ist ziemlich peinlich und so mancher Trunk erweist sich im Glase schließlich nur als lukrativer Marketingtrick. Nichts gegen die wachsende Anzahl an speziellen Bier-Seminaren, Craft-Tastings und Brauereiführungen, die sich ausschließlich an ein weibliches Publikum richten. Aber was soll da eigentlich anders ablaufen als bei den Events für Männer?

Frauenbiere, so das gängige Vorurteil, sollten süß sein, nicht zu alkoholreich und nach Möglichkeit durch florale Duftnoten überzeugen. Alles Quatsch! Wie jüngste Umfragen in der Craft-Szene ergeben, trinken Frauen am liebsten ein gut gehopftes IPA mit ausbalancierten Fruchtnoten, ausgeprägter Frische, aber eher geringen Bittereinheiten – je exotischer, umso besser. Solche Sude liegen allerdings auch bei männlichen Craft-Fans im Trend. Und im Übrigen gilt: Auch Frauen wählen ihr Bier nach Stimmung, Umgebung, Gesellschaft, nach den Jahreszeiten oder der Situation.

Typische Frauenbiere gibt es also ebenso wenig, wie es heute im Bier-Business noch wirklich homogene Zielgruppen gibt. Im Klartext: Was Männer trinken, mögen auch Frauen und umgekehrt. Schließlich gibt es ja auch kein Spezialbier für Einäugige, Zwergwüchsig oder Fußkranke.

Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.

Pudelnackte Romeos