Finnen gelten seit jeher als besonders trinkfreudiges Volk – allerdings mit Vorliebe für harte Sachen. Mit der Craft-Bierbewegung wächst jetzt auch im hohen Norden die Freude am Biergenuss. Speziell in Helsinki boomt die Szene mit neuen Brau-Werkstätten, Brewpubs und ganz ungewöhnlichen Suden.

Wer Finnland hört, denkt meist an eisige Temperaturen, dampfende Saunen und kräftige Spirituosen. Schließlich liegt das Nordland im sogenannten „Wodkagürtel“. Doch die Ostseenation hat noch deutlich mehr zu bieten. Ende Juli brennt die Sonne so stark vom Himmel, dass auf den Thermometern von Helsinki aktuell fast 30 Grad aufleuchten – so warm soll es seit 100 Jahren in der finnischen Hauptstadt nicht gewesen sein. Kaiserwetter also für das wichtigste Bierfestival des Landes: „Suuret Oluet – Pienet Panimot“, das übersetzt „Große Biere, kleine Brauereien“ bedeutet. Noch rollen einige der knapp 40 finnischen Craft-Aussteller die letzten Fässer an ihre Stände, bis um Punkt 12 Uhr zur Eröffnung schon die ersten Bierfans durstig auf das Gelände des Bahnhofsplatzes gegenüber des renommierten Kunstmuseums „Ateneum Art“ strömen.
Das Craft-Bierfestival in der Metropole am finnischen Meerbusen ist inzwischen so beliebt, dass alljährlich sowohl Aussteller-, als auch Besucherzahlen rasant steigen. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Die Craft-Bierbewegung ist längst auch im Land der Bären und Elche angekommen. Während es vor etwa zehn Jahren nur 20 Brauereien in Finnland gab, sollen es inzwischen rund 100 Braustätten sein. Vor allem in Helsinki brummt die Craft-Bierszene wo nirgendwo sonst im Land der tausend Seen. Dass die Finnen ihre Liebe zu feinen Suden entdeckt haben, bestätigt auch der landesweit bekannte Biersommelier Olli Manjanen: „Der Biermarkt ist in den vergangenen fünf Jahren bei uns regelrecht explodiert und die Anzahl professioneller Craft-Brauer hat sich fast verdreifacht.“ Dabei nehmen Craft-Brauereien angeblich bereits einen Marktanteil von rund fünf Prozent ein. Auch der Ausstoß wuchs allein von 2016 mit etwa 18 Millionen auf 21 Millionen Liter im vergangenen Jahr.
Was jedoch erstaunt: Viele Brauer orientieren sich an deutscher Bierkultur und setzen auf traditionelle Stile wie Lager, Pils oder Weizen – allerdings mit kreativem Touch. Neben ungewöhnlichen Interpretationen ihres Ur-Bieres „Sahti“, das ursprünglich mit Backhefe vergoren und mit Wacholder aromatisiert ist, lieben die Finnen aber auch an amerikanischen India Pales Ales, Imperial Stouts und Sauerbieren wie Berliner Weisse und Gose. Hinzu kommt bei vielen Interpretationen jedoch eine spezielle Passion der Nordlandbrauer: Sie experimentieren gern mit frischen Waldbeeren, Fichtennadeln und was sonst noch so in der wilden Landschaft wächst.

Wer in Helsinki einen Streifzug durch die vielen neuen Craft-Kneipen macht, wird dabei auch noch viele andere Sehenswürdigkeiten entdecken. Im Jahr 2000 wurde die „nordische Schönheit“, wie viele Touristen die Metropole bezeichnen, als Europäischen Kulturhauptstadt gewürdigt, 2012 zur Welthauptstadt des Designs gekürt und neuerdings gilt sie auch als Hotspot für finnische Bierkultur. Dabei zählt das Brau-Restaurant „Bryggeri Helsinki“ im Herzen der Stadt zwischen Markt- und Senatsplatz als eine der wichtigsten Anlaufstellen der hiesigen Craft-Szene. Unweit des Doms können Gäste – mit Blick auf den glänzenden Kupferkessel – hier saisonale Landesspeisen und neben sonstigen Bierspezialitäten auch eines der etwa zehn Sude vom Zapfhahn probieren.

Gründervater der Bryggeri Helsinki ist Pekka Kääriäinen, der schon seit mehr als 30 Jahren Bier braut und auch das Helsinkier Bierfestival initiierte. Erst war der Finne Teilhaber bei der Regionalbrauerei „Lappeenenrannan“, die aber 1996 schließen musste. Anschließend suchte Kääriäinen nach einer passenden Location für eine neue Braustätte und eröffnete 2012 seine Bryggeri. Für die Qualität des Bieres ist seitdem ein deutscher Braumeister namens Mathias Hüffner verantwortlich, der gern traditionelle finnische Zutaten wie Roggen, Dinkel oder auch Kräuter und Waldbeeren verwendet. Ursprünglich wollte Kääriänen das Bier ausschließlich in der Location auszuschenken, musste aber schon bald nach dem Start seiner Microbrewery umdenken: „Das Interesse an kreativen Bieren wächst in Helsinki so stark, dass es unsere Sude inzwischen auch in vielen anderen Bars und Supermärkten gibt.“

Trotz vieler Halbinseln, Meeresbuchten und Schären, die sich in den Stadtkern hineinfressen, gilt Helsinki als überschaubare Metropole. Daher sind fast alle Bierstationen gut fußläufig zu erreichen. Nur zehn Gehminuten von der Bryggeri Helsinki finden Bierfans am Rande des beliebten Narinkkatori-Platzes im Stadtteil Kamppi ein weiteres Brewpub namens „Ravintola Teerenpeli“. Die Mikrobrauerei produziert noch sehr kleine Chargen, die auch nur in der Location ausgeschenkt werden. Neben modern interpretierten Lagerbieren gehören auch ein Weizenbier sowie ein 6,6-prozentiges India Pale Ale namens „Notkea“ zum Standardsortiment. Gebraut wird es mit den drei weniger bekannten Hopfensorten Galena, Pioneer und Green Bullet. Zusätzlich bietet das Teerenpeli-Team auch einige saisonale Spezialitäten an. Das sind ganz ungewöhnliche Biere wie etwa ein Blond Porter, das mit Pflaumen und Pflaumenmarmelade gebraut ist, ein IPA mit Aprikosen oder ein 7-prozentiges Stout, das die Brauer mit brasilianischem Cold Brew Coffee komplementieren.
Weniger spektakulär, aber dennoch kreativ, arbeitet Jani Suomalainen am Kessel. Er ist Braumeister in der „Ohrana Krouvi Panimo“, die nur ein paar Meter vom Museum für moderne Kunst entfernt liegt. Die kleine Braustätte befindet sich im Keller einer Bierbar im nordischen Design. Neben Red Ale, Saison und Golden Ale geht auch eine schlanke, 4,2-prozentige, saure Berliner Weisse namens „Bärliineri“ über die Theke. „Saure Biere sind gerade der totale Trend in unserer Szene“, erklärt der der Finne. Bei seinen Bieren setze er auf etwas weniger Alkoholgehalt und hohe Trinkbarkeit, damit junges und altes Publikum gleichermaßen in die Bar kommen.

Als Anhänger der Drinkability-Philosophie sehen sich auch die beiden Macher, Heikki Uotila und Pyry Hurula, vom „Sori Taproom”. Die modern gestaltete Bierbar liegt im Herzen von Helsinki, nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt. Mit 24 glänzenden Zapfhähnen etablierte sich das Haus als eine der angesagtesten Stationen für einheimisches und internationales Bier im Stadtgebiet. Flachbildschirme dienen als ständig rotierende Bierkarte mit imponierender Sortenauswahl. Dabei stammen einige Sude auch aus namhaften Brauereien rund um den Globus. Die meisten haben Uotila und Hurula allerdings selbst gebraut. Ihre Craft-Werkstatt „Sori Brewing” verlegten die beiden Brauer aber ins 80 Kilometer entfernte Tallinn, weil dort angeblich die Bürokratie einfacher sei. Der Brückenschlag in die estländische Hauptstadt markiert aber erst den Anfangspunkt ihrer Vision. „Unser Ziel ist ganz klar der internationale Markt“, betont Brau-Chef Hurula. Irgendwann will er sein Bier auch in Deutschland verkaufen.
Auch das Team von „Fat Lizard Brewing“ hat globale Absatzmärkte im Visier. Bevor Heikki Ylinen seine Braumanufaktur etwas außerhalb der Stadt gründete, reiste er um die halbe Welt, um sich von anderen Craft-Brauern inspirieren zu lassen. Vor allem die USA fesselte ihn, was sich jetzt auch in der eigenen Lizard-Bierauswahl wiederspiegelt. So orientiert sich das Kollektiv der „fetten Echse“, wie die Brauerei ins Deutsche übersetzt heißt, mit Vorliebe an amerikanische Interpretationen, wie großzügig gehopfte IPAs und Pale Ales. Dabei achten Ylinen und seine Mitarbeiter nicht nur auf die richtige Hopfenkomposition, sondern strikt auch auf Frischegarantie. „Hopfengestopfte Biere müssen absolut frisch getrunken werden, um alle Aromen intakt zu halten“, bekräftigt der Lizard-Boss. Das Bier gehe also immer ganz jung vom Hof und dürfe niemals älter als 30 Tage sein.
Nicht ganz so streng, dafür aber genauso verliebt in hopfenbetonte Biere sind die Macher von „Stadin Panimo“ im Westen von Helsinki. Die bereits in den späten 1990er Jahren gegründete Brauerei mit eigenem Pub befindet sich in einem alten Fabrikareal von Suvilahti und gehört zu den ältesten Craft-Stätten der Stadt. Nur wenige Jahre nach dem Start kamen die ersten obergärigen Stadin-Biere auf den Markt. 2009 ließ Unternehmenschef Timo Konttinen die Brauanlage sanieren und entwickelte von da an auch untergärige Sorten. Bis 2013 produzierte der Betrieb schon zwischen 40 und 50.000 Liter, jetzt sind es mehr als 90.000 Liter pro Jahr. Im Portfolio führen die Finnen neben einem Vienna Lager, Pils und Weizen auch ein Grapefruit IPA, Barley Wine oder ein saisonales Bier mit Rosmarin gewürzt. Für einige ihrer Sude gewannen die Brauer bereits Preise beim finnischen Bieraward.
Mit dem Ansporn, irgendwann auch Auszeichnungen für die eigenen Biere zu gewinnen, gehen auch die drei Freunde von „Etko Brewing“ voran. Ihre Craft-Brauerei gründeten die Jungbrauer erst vor gut einem Jahr im Nordwesten der Stadt. Ihre Motivation für das eigene Bier klingt für Crafter nicht ganz ungewöhnlich: „Endloser Durst und ein Hauch von Neurose.“ Zu ihren beliebtesten Suden zählen jetzt neben Roggen-IPA, American Porter auch etwa ein Ale im Kölsch-Stil, das mit neuseeländischem Nelson Sauvin gehopft ist. Die Etko-Crafter zeichnet aber auch ihr Hang zum Experimentieren aus. So legten sie gerade erst ein 8-prozentiges Imperial IPA namens „Hammertime“ vor, dass ordentliche 90 Bittereinheiten misst. Außerdem rühmen sie sich für die ungewöhnliche Mixtur der Berliner Weisse „Tart & Tangy“, die sie mit Mango und heimischen Himbeeren brauten.
Egal ob die saure Weisse von Etko Brewing, die hopfigen IPAs von Fat Lizard oder die verschiedenen Sorten der Bryggeri Helsinki, die meisten Biere finden Craft-Touristen auch in den Szenekneipen der Stadt, darunter die aktuell angesagte „Tommyknocker Craft Beer Bar” oder die „Bier-Bier”-Bar. Zum guten Ton in all diesen Locations gehören zumindest ein paar Worte in der für deutsche Zungen äußerst schwierigen Landessprache. Wer hier mit Bier anstößt, kennt vielleicht gerade noch das nordische „skål“. Aber auch das gebräuchliche „Kippis“ – auf Deutsch „Kipp es“ – ist leicht zu merken. Bei fortgeschrittenem Bierkonsum zeugt jedoch ein kräftiges „Höllekin-Höllekin!“ angeblich von wahrlich echter Landeskunde.
Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.