Craft-Bier: Russische Revolution

Dass Russen ausschließlich Wodka kippen, ist nur Legende: Das Lieblingsgetränk im größten Land der Erde ist Bier. Trotz Wirtschaftskrise und Rubelverfall bringen jetzt vor allem junge Craft-Brauer frischen Wind in die Kneipen von Moskau und St. Petersburg.

beer-2218900_1920Die Gründungsgeschichte der Zagovor Brauerei liest sich wie eine Odyssee durch die Kneipen dieser Welt. Erst nach langer Lehrfahrt keimte 2013 an einem australischen Tresen die Idee, ein eigenes Bier zu brauen. Was damals von einer Handvoll alter Punk-Rockfreunde als zaghaftes Home-Brewing begann, mündete schon bald darauf in ein eigenes Moskauer Brauhaus. In Gehweite zu Kreml und Roten Platz steht inzwischen die wohl heißeste Bier-Location im ganzen Land – moderne Brauerei, nebst kultigem Tap-Room mit rund 30 Zapfhähnen und breit sortierten Bottle-Shop. Warum einige Crew-Mitglieder – sofern sie ihre Gesichter nicht hinter Rauschebärten verstecken – sich nur maskiert zeigen und selbst die Nachnamen der Macher ein Geheimnis bleiben, verrät der Firmenname Zagovor – Verschwörung. Konspirativ gibt sich denn auch Vadim, einer der Gründerväter: „Der Markt für Craft-Biere ist in Russland in kürzester Zeit geradezu explodiert und wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Hinter der Geburt der russischen Craft-Bierszene verbirgt sich auch eine politische Komponente: Nach dem Fall der Sowjetunion fluteten internationale Biergiganten den Markt mit preiswerten Standardbieren. Ihre Werbemillionen verdrängten schnell den traditionalen Wettbewerb. Renommierte russische Brauereien, wie etwa die St. Petersburger Baltika, die mit einem Sortiment von über 20 Bierstilen zu den beliebtesten Produzenten im Lande zählten, wurden von Carlsberg aufgekauft. Nach der Annexion der Halbinsel Krim und dem darauffolgenden Wirtschaftsboykott des Westens, fiel der Rubelkurs ins Bodenlose und ausländische Biere wurden für Normalverbraucher nahezu unbezahlbar.

Im Schatten dieser Entwicklung krempelten einige Jungbrauer die Ärmel hoch und gründeten regionale Manufakturen mit bezahlbaren Hopfensäften. Seitdem wächst im Land wieder die Liebe zum heimischen Gerstensaft und der Markt für Importbiere schrumpft kontinuierlich. Dank dem günstigen Rubel erleben die Russen derzeit eine echte Bier-Revolution. „Genaue Zahlen gibt es noch nicht, aber plötzlich sprechen alle bei uns über Craft-Bier“, erklärt Zagovor-Brauer Vadim.

Marktforscher bekräftigen, dass die Nachfrage nach russischem Bier inzwischen größer sei als das Angebot. Die Folge: Auch die Preise am Tresen sind kräftig angestiegen. Wadim Drobis, Direktor des Marktforschungszentrums für staatliche Alkoholmärkte, ist jedoch voller Zuversicht, dass russische Brauer künftig rund ein Viertel des inländischen Biergeschäftes beherrschen werden: „Auf diesem Niveau dürfte sich der Markt wohl auch langfristig einpendeln.“

Begonnen hat der Craft-Sturm bereits 2013 in St. Petersburg, dem historischen Fenster zum Westen, wo täglich tausende Finnen und Schweden einfallen und sich zu qualvollen Zechgelagen zusammenraffen. Inzwischen schwebt jedoch ein revolutionärer Geist durch die gesamte russische Bierlandschaft. In Trend-Metropolen wie St. Petersburg und Moskau eröffnen beinahe im Monatsrythmus hippe Boulevard-Brauereien, Craft-Kneipen, -Bars und –Shops. Überall schießen Craft-Bierfestivals aus dem Boden und jede Woche entstehen neue Sude.

Als Star der neuen Craft-Szene gilt jedoch die Zagovor Brauerei. Das Moskauer Team wurde 2015 von Rate Beer als beste russische Brauerei ausgezeichnet – nur ein Jahr nach der Gründung. Voller Experimentierfreude schrecken sie vor keinem Bierstil zurück, brauen ein Vermont Pale Ale, ein Milk-Stout und ein Pumpkin Ale. Da kommen aus russischen Wäldern auch schon mal frische Beeren oder Birken-Chips sowie der bereits zur Zarenzeit berühmte 5-Sterne-Brandy „Ararat“ aus Armenien in den Sudkessel. Während die Jungbrauer den Hopfen für ihre Biere aus dem Ausland bezogen, spielen sie neuerdings mit einem hierzulande ganz ungewöhnlichen Gewächs: Hopfen aus Tschuwaschien, einer autonomen Republik im Süden Russlands. Aber was ist eigentlich der besondere Touch an den Zagovor-Bieren? „Wir wollen nicht nur westliche Stile kopieren, sondern versuchen unseren eigenen Weg zu gehen“, sagt Brauer Vadim. Ergebnis dieser Philosophie ist ein IPA mit dem Namen „Midnight Moscow“.

Zwischenzeitlich können sich Craft-Enthusiasten noch an experimentellen Single Hops begeistern. Berühmt sind aber vor allem die spektakulären Kollaborationssude, die das Kollektiv von der Moscwa nicht nur mit Kreativbrauern aus Russland, Serbien und den USA ansetzte, sondern neuerdings auch mit einem deutschen Ensemble. Gemeinsam mit Himburgs Braukunstkeller aus München haben die Russen ein achtprozentiges Imperial Stout mit dem Namen „Konfekta“ (Schätzchen) entwickelt. Dieser Kollaborationssud ist gebraut mit verschiedenen Karamell- und Röstmalzen sowie Kandiszucker und in der Szene bekannt als echte Aromabombe mit kräftigen 80 Bittereinheiten. Geschäftsführerin Oksana Himburg, eine gebürtige Ukrainerin, sieht die russischen Brauer als besonders kreative Partner: „Unsere Kooperation mit den Moskauer Kollegen war eine spannende Erfahrung, bei der ganz neue Ideen entstanden sind.“

Immer offen für neue Schöpfungen sind auch die russischen Trendsetter Nikita Filippov, Dmitry Buldakov und Artem Kolchukov von „AF Brew“ – AF steht für Anti-Factory. Sie brauten vor drei Jahren ein gemeinsames IPA auf der Basis von fünf internationalen Hopfensorten mit der Berliner Bierfabrik. „Das war unser aller erster Kollaborationssud überhaupt“, erzählt Filippov stolz. Die drei Macher aus Sankt Petersburg begannen 2012 als Gypsy-Brauer. Im vergangenen Jahr bezogen sie ihre eigene Braustätte und führen inzwischen rund 75 Sorten im Portfolio. „Wir sehen uns als Gegenbewegung zu den geschmacklosen und langweiligen Bieren, die westlichen Brauriesen noch immer ins Land spülen“, bekräftigt Filippov. Als nächstes stehen Session Ales, eine neu interpretierte Gose, Berliner Weisse sowie fassgereifte Spezialitäten auf dem Plan. Auch die Verwendung von regionalen Früchten ist vorgesehen. Ganz nach heimischen Geschmack ist ein AF-Bier mit speziell gerösteten schwarzen Salz in russisch-orthodoxer Tradition.

Zur Avantgarde in Russland zählt auch die „Vasileostrovskaya“-Brauerei auf der Wassiljewski-Insel im Herzen von Sankt Petersburg, die neben Roggen und Früchten auch mit Honig, Wachholder oder Chili experimentieren. Aber nicht nur in der Stadt der weißen Nächte spielen die Braumeister mit ungewöhnlichen Zutaten. Auch Dmitry Anpilogov von der „Panzer Brewery“ in Moskau rührt neben vielen Craft-Klassikern auch ein gewürztes Porter mit kaltem Filterkaffee zusammen. Schmecken soll es nach Marmelade und Schwarzbrot. „Unser Ziel ist es Biere mit ganz erstaunlichen Geschmäckern zu produzieren“, erzählt Chef-Brauer Anpilogov.

Russlands Craft-Bierwelle konzentriert sich jedoch nicht nur auf die Metropolen, sie schwappt inzwischen auch in abgelegene Regionen. In Jekaterinburg, im fernen Ural-Gebirge, entstand in einer ehemaligen Großwäscherei ein Brauzentrum, das von der „Jaws Brewery“ betrieben wird und als Vorläufer der Craft-Bewegung am Rande Sibiriens gilt. Hier können sich Hop-Guys seltener Spezialitäten erfreuen: Von Coconut Porter, flämischen Red Ale und Haferflocken-Stout bis hin zu Roggen-Ale und Russian Imperial Stout mit 10,2 Umdrehungen und 80 IBU‘s.

Victory Art Brew“ heißt eine weitere Braustätte, die nordöstlich von Moskau gelegen, russische Genießer mit rund zehn Sorten versorgt. Die Biere haben vielversprechende Namen wie „Lord oft he Hops“, „The Beer Flood Porter“ oder „Black Sails IPA“. Und auch aus Kaluga, rund 200 Kilometer südwestlich der russischen Hauptstadt, kommen einige Sude, die sogar einen internationalen Bekanntheitsgrad genießen. Biere von „Labeerint“ waren schon 2014 bei den Olympischen Spielen von Sochi der Hit bei ausländischen Gästen.

Dass der russische Craft-Biermarkt auch für deutsche Institutionen immer interessanter wird, beweist derzeit die NürnbergMesse, die ihre „BrauBeviale“ – inklusive Craft-Beer-Corner –  im Frühjahr dieses Jahres zum zweiten Mal in Moskau stattfinden ließ. „Inzwischen ist die Craft-Bewegung mit Volldampf auch in Russland angekommen“, weiß Andrea Kalrait, Veranstaltungsleiterin der „BrauBeviale Nürnberg“.  Dabei registriert sie nicht nur kunterbunte Sude, sondern vor allem auch eine hohe Produktqualität. Darüber konnten sich russische Biertrinker wohl schon zu Zarenzeiten freuen. Jedenfalls proklamierte der Schriftsteller und Philosoph Lew Tolstoi bereits vor gut 150 Jahren: „Man kann ohne Liebe Holz hacken, Eisen schmieden und Ziegel formen, aber Bier brauen ohne Liebe kann man nicht.“

Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur

2 Gedanken zu “Craft-Bier: Russische Revolution

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  2. Einst haperte es da ja heftig. Willst also im Winter 1982 in Leningrad ein Bier, suchst und findest….. es ist so schlimm… ne: sooooo schlimm, angepriesen wird DAB! Genau das Zeug! Das sind die Auswüchse, wenn man alles Westliche irgendwie gut findet! Habe ich schon erwähnt? DAB, als Bier! Die spinnen doch.

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