Renaissance der sauren Spezialitäten

Berliner Weiße, spritzige Gose oder wildsaure Hefe-Kreationen: Bierfans greifen immer häufiger zu Sauerbieren, die vor der Craft-Bewegung fast ausgestorben waren. Sie schätzen den Charakter-Drink als Aperitif, Speisenbegleiter oder frischen Trunk für zwischendurch.

„Wer nur einen Geschmack hat, hat gar keinen Geschmack“, urteilte schon der deutsche Dichter und Philosoph Gotthold Ephraim Lessing, für den Genuss kein Fremdwort war. Ob er jedoch während seiner Berliner Jahre ein Liebhaber von Sauerbier war, ist indes nicht überliefert. Immerhin war die Berliner Weiße schon vor mehr als 150 Jahren das Volksgetränk der Hauptstädter. Mehr als 200 Brauereien soll es damals in der Stadt gegeben haben, die nur diesen obergärigen und vor allem sauren Bierstil produzierten – dann starb er langsam aus. Heute gilt die Weiße meist als Touristen-Attraktion, gepanscht mit pappsüßen Himbeere-, Kirsch- oder Waldmeistersirup. Craft-Brauer und -Brauerinnen wie etwa die Berlinerin Ulrike Genz wollen das jetzt ändern und mit ihren Suden die traditionellen Werte wiederbeleben: „Mit meinen Bieren möchte ich Berlin ein Stück Kultur zurückspielen“, verspricht Genz, die sich mit dem Label „Schneeeule“ seit 2016 auf Berliner Weiße spezialisiert hat.

Und das funktioniert bisher ganz prächtig. Doch dass diese Bierspezialität als reanimierter Szene-Drink jetzt in Berlin, Hamburg und München derzeit eine echte Renaissance erlebt, ist für Traditionsbrauer nur schwer zu begreifen. Ihnen galten saure Biere meist als schlecht oder verdorben und auch das Image bei den Konsumenten stand nicht gerade zum Besten. Dabei handelt es sich bei der Berliner Weiße sowie auch bei der Leipziger Gose um Bierstile mit jahrhundertealter Geschichte. Erst mit der Craft-Bierszene steigert sich nun wieder die Lust auf den sauren Edelstoff. Das bestätigt auch Holger Eichele, Geschäftsführer des Deutschen Brauerbundes in Berlin: „Sauerbiere erleben in Deutschland gerade eine echtes Comeback.“

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„Marlene“ von Schneeeule aus Berlin

Der bekannteste Vertreter unter den deutschen Sauerbieren ist wahrscheinlich die Berliner Weiße, die erst durch Zugabe spezieller Hefen oder Milchsäurebakterien ihr Geschmacksprofil erreicht. Neben Ulrike Genz, die inzwischen mit mehr als vier Sorten im Portfolio aufwartet – eine davon mit Jasmin, eine mit Holunderblüten und bald einer neuen Version mit Ingwer – wagen sich auch andere Brauer an das Traditionsgetränk, das schon Napoleon wegen seiner Finesse und Spritzigkeit als „Champagner des Nordens“ bezeichnete. Oliver Lemke vom Brauhaus Lemke in Berlin probierte sich bereits vor mehr als zehn Jahren an diesen knackigen Bierstil. Damals konnte die Weiße nicht gerade als bevorzugter Drink der Hauptstädter punkten. Inzwischen legte Lemke eine Neuinterpretation namens „Budike Weisse“ vor, die beim diesjährigen Meiningers International Craft Beer Award die Goldmedaille gewann.

Überhaupt entwickelt sich Berlin immer mehr zur Sauerbier-Metropole. Jüngst brachte auch die Kreativ-Truppe von „BRLO“ eine schlanke Weiße auf den Markt, gefolgt von Stone Brewing mit einer Version, die Aromen von Melone und Rhabarber an den Gaumen bringt. „Es ist großartig, dass die Craft-Bierbewegung dieser Stadt etwas zurückgeben kann, was zu Berlin gehört“, schwärmt Greg Koch, Mitgründer von Stone Brewing.

Ein weiteres traditionelles deutsches Sauerbier, das gerade durch die Crafter wieder zum Leben erweckt wird, ist die Gose. Geburtsort war vermeintlich Goslar im Harz. Dort wurde seit 1397 Bier gebraut mit dem Wasser aus einem kleinen Fluss namens Gose. Etabliert hat sich diese Typologie aber erst später im Raum Leipzig und wird daher auch häufig „Leipziger Gose“ genannt. Gewürzt ist sie ursprünglich mit Salz, manchmal auch mit Koriander oder Muskat. Einer der Pioniere dieses modern ausgelegten Braustils ist Oliver Wesseloh, Chef der Kehrwieder Kreativbrauerei aus Hamburg. In der Hafenstadt ließ er die alten Gose-Rezepturen mit einer weißweinartigen Säure wieder aufleben. Neben der „Elbe Gose“ braut Wesseloh auch eine herbere Variante mit Sanddornfrüchten. Wer es jedoch noch etwas salziger mag, dem ist die hochdekorierte „Badische Gose“ von der Welde Brauerei aus Plankstadt nahe Heidelberg zu empfehlen.

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Das „Seepferd“ der Inselbrauerei auf Rügen (Foto: Ben Fuchs)

Mit dem aktuellen Sauerbier-Trend identifiziert sich auch die Inselbrauerei auf Rügen. Die meisten Biere von Chef und Braumeister Markus Berberich folgen allerdings keinem klassischen Stil. Seine Kreationen nennt der Rügener daher „seltenes Bier“. Eine seiner Spezialitäten vergärt Berberich sogar mit Champagner-Hefe. Dadurch bekommt das Bier eine schlanke und trockene Aromatik sowie eine moussierende Perlage. Neben einer fruchtigen Version namens „Meerjungfrau“ braut Berberich auch ein wildsaures „Seepferd“ und ein zartsaures „Saison“ mit fruchtigen Noten von Pfirsich und Zitrone.

Gänzlich unkonventionell interpretieren David Hertl von der Braumanufaktur Hertl aus Schlüsselfeld bei Bamberg und Marc Gallo von Hopfmeister aus München die alten Gose-Rezepturen. Die beiden Jungbrauer werfen für den besonderen Aroma-Kick kiloweise Salatgurken mit in den Sudkessel. Craft-Kenner schwören auf das salzige, frisch-prickelnde Gurkenaroma, mit dem auch ein Hauch von grünem Apfel einhergeht. Und Gartenfreaks verspricht Braumeister Hertl: „Es gibt garantiert kein besseres Bier zum Rasenmähen als unser Gurken-Gose.“

Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.

 

 

 

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