Renaissance der Regionalbrauereien

Nach langem Dämmerschlaf besinnen sich viele mittelständische Braustätten wieder auf ihre traditionellen Stärken. Mit handwerklichem Geschick und uralten Rezepturen räumen sie inzwischen internationale Preise ab und begeistern zunehmend auch junge Zielgruppen

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Das Apostelbräu-Team 2017 auf der Braukunst Live in München. Brauerei-Chef Rudi Hirz steht in der Mitte.

In seiner Heimat, am Südrand des bayerischen Waldes, wird der Brauer Rudolf Hirz als wahrer Held gefeiert. Seine Story: Vor gut 15 Jahren rasselte der Apostelbräu mit Sitz in Hauzenberg nach familiären Disharmonien in die Insolvenz. Die Leute im Landkreis Passau bangten um den Trunk, der schon ihre Vorfahren beglückte. Hirz akzeptierte nicht die Schließung des Familienunternehmens mit über hundertjähriger Braugeschichte, rettete 2005 den Traditionsbetrieb und wagte einen Neustart mit mutigem Neukonzept. Der heute 47-Jährige spezialisiert sich auf uralte Getreidesorten wie Emmer, Einkorn, Dinkel und Hafer, errichtete ein eigenes Dinkelmuseum sowie eine Whisky-Destille, in der mit Ur-Korn gebrannt wird. Außerdem setzt er auf Craft-Bier und braut inzwischen ein Pale Ale und ein Farmhouse Ale. Der Niederbayer ist von seinem Plan überzeugt: „Wer im Biergeschäft heute erfolgreich sein will, muss sich deutlich von der Masse absetzen.“

Ebenso wie der Boss des Apostelbräus agieren derzeit immer mehr Inhaber von unabhängigen Regional- und Landbrauereien. Sie setzen – jenseits ihres Standard-Sortiment – zunehmend auf ungewöhnliche Sude. Und das rechnet sich: Laut des Marktforschungsunternehmens „Nielsen“ in Frankfurt am Main verzeichnen Spezialitätenbiere im ersten Halbjahr von 2016 ein Plus von fast zehn Prozent. Einer der Gründe: Verbraucher besinnen sich wieder vermehrt auf heimische, handwerkliche und vor allem originelle Produkte. Glaubt man den Aussagen des Deutschen Brauerbundes, so wächst der Markt für kleine und mittelständische Brauereien wieder. Auch das langjährige Siechtum in der Branche sei inzwischen gestoppt. Landbrauereien, die im mörderischen Preiskampf gegen internationale Braugiganten nicht mehr mithalten können, stabilisieren ihre Regionalmärkte und nutzen ihre Chance – fernab von Einheitsgeschmack und Massenproduktion – in kreativen Nischenprodukten. „Wir sehen ganz klar eine Renaissance der Regionalbrauereien“, bekräftigt Verbandschef Holger Eichele. Impulsgeber dafür sei die Craft-Bierbewegung, die auch kleinen Familienbrauereien wieder zu mehr Mut animiere und ihnen wichtige Impulse gebe.

Zahlreiche Betriebe besinnen sich auf ihre alten Stärken. Ihr Ziel ist es heute, abseits des Mainstreams wieder Biere zu entwickeln, die niemand anders im Regal hat. Und so stöbern innovative Brauer in alten Büchern und Archiven nach den Rezepturen ihrer Vorväter. Sie loten neue Stile aus oder geben ihren Traditionsbieren einen besonderen Hopfen-Kick. Das schafft auch neue Abnehmer rund um den Kirchturm, denn nicht nur genussfreudige Städter, auch junge Landmänner gehören heute zu einer experimentierfreudigen Generation, die für jedes Geschmacksabenteuer aufgeschlossen ist.

Inzwischen sind es dutzende Traditionsbetriebe, die wohl meisten davon im Bierland Bayern mit seinen über 600 Landbrauereien, die auf er Erfolgswelle der Spezialitätenbiere mitsurfen. Als Musterbeispiel für diesen Trend steht die 250 Jahre alte Landbrauerei Schönram im oberbayerischen Chiemgau. Rund 73.000 Hektoliter Bier verlassen pro Jahr das winzige Dorf Schönram, das gefühlt nur aus Brauerei und Gasthof besteht. Neben neu interpretierten Standardsorten wie Helles, Weißbier und Dunkel, produziert der Betrieb seit einigen Jahren auch Pale Ale, India Pale Ale sowie Imperial Stout – und sahnt damit alljährlich nationale wie internationale Awards ab. Früher führte die Brauerei nur fünf Biersorten, heute sind es bereits zwölf, darunter ein Pils, das zu den weltbesten zählt. Kreativer Kopf ist Eric Toft, ein gebürtiger US-Amerikaner mit Diplom aus Weihenstephan, der mittlerweile seit fast zwanzig Jahren in Schönram die Sudkelle hält. Seine Philosophie: „Wir versuchen bei uns Biere zu kreieren, wie edles Parfüm.“

Dem Spezialitätentrend folgt auch die Pyraser Landbrauerei in Thalmässing, südlich von Nürnberg, mit. Von hier kamen noch vor wenigen Jahren primär Helles, Pils und Weizen. Seit der Neuausrichtung der Brauerei in Richtung Spezialsude, verschiebt sich der Umsatz laut Pyraser-Chefin Marlies Bernreuther immer mehr zugunsten der einstigen Randsorten wie Rot-, Schwarz- oder 6-Korn-Bier. „Vor allem bei den Saisonbieren hat sich der Abverkauf deutlich beschleunigt“, freut sich Bernreuther. Einer der Renner im Sortiment ist das saisonale „Hopfenpflückerpils“ mit selbstgeerntetem Spalter-Hopfen. Einst ein Lagerhüter, sei die bierige Spezialität jetzt in wenigen Tagen ausverkauft. Das Brauerei-Team muss deswegen bereits mit Vorverkauf und Zuteilungen arbeiten. Bernreuther erklärt die Nachfrage ihrer Spezialsude mit wachsender Experimentierfreude deutscher Biertrinker.

Knapp 150 Kilometer östlich von Pyraser, im niederbayerischen Straubing, feiert gerade die Karmeliten Brauerei ihren 650. Geburtstag. Die ehemalige Klosterbrauerei ist seit 1879 im Privatbesitz und setzt nach wie vor auf Tradition – aber mit innovativem Ansatz. Einst eher bekannt durch Malzbomben, Allerwelt-Helles und schweren Böcken, wurden zum Jubiläum vier limitierte Spezialsude eingebraut, darunter ein Imperial Pale Ale, ein Imperial IPA, ein Bitterbier und ein Bier nach Kölscher Brauart. Dazu gehört für einen Traditionsbrauer viel Mut, der sich inzwischen aber durch stetes Wachstum bezahlt macht. Mit alten Bierspezialitätenbieren und immer wieder neuen Sorten erreichten die Straubinger neue Kundengruppen und kamen so aus dem einstigen Sinkflug wieder heraus. Geschäftsführer Christoph Kämpf bekräftigt, dass die Marschrichtung zu ungewöhnlichen Spezialitätenbieren den neuerlichen Erfolg seiner Brauerei maßgeblich beflügelt habe.

Unter den vielen Beispielen für innovative Traditionsbetriebe ragt auch der fast 400 Jahre alte Lammsbräu im oberpfälzischen Neumarkt heraus. Die Bio-Brauerei um Inhaber Franz Ehrnsperger erweiterte ihre Angebotspalette mit einer vielbeachteten Genussbier-Reihe. Gerade erst stellte das Brauteam die neunte Version einer Gourmet-Serie vor, das „Lammsbräu 1628 Farmhouse Ale“ nach belgischer Tradition. Mit solchen Produkten und einer konsequenten Bio-Strategie gehören die Neumärkter inzwischen wohl zu den am meisten ausgezeichneten deutschen Regionalbrauereien. Mitgeschäftsführerin Susanne Horn, ist stolz auf diese Entwicklung: „Unsere Auszeichnungen belegen, dass wir mit traditionellem Handwerk und besten Zutaten aus dem Ökolandbau in unserer Art des Brauens genau richtig liegen.“

Der Innovationsschub, den viele Landbrauereien mit ihren Bierspezialitäten gerade vollziehen, spiegelte sich auch im Medaillenregen bei Meiningers International Craft Beer Award. Vor allem ungewöhnliche Bockbiere – eine traditionelle deutsche Bierspezialität – verweisen die internationale Konkurrenz regelmäßig in die Schranken. So etwa das Brauhaus Faust in Miltenberg, südlich von Aschaffenburg, das für einen holfassgereiften Eisbock von 2014 sogar die Platinmedaille bekam. Dieselbe Auszeichnung gewannen auch der mehr als 100 Jahre alte Martinsbräu aus dem unterfränkischen Marktheidenfeld für einen malzbetonten „Sankt Martinus Doppelbock“. Ebenso die Familienbrauerei Bauhöfer aus dem badischen Renchen für ihren „Bauhöfer´s Eisbock 2015“ und die Lahnsteiner Brauerei für den 10,3-prozentigen Doppelbock namens „Rohminator“ mit Portweinnoten. „Solche Preise sind Motivationsmotor für das Brauteam sowie Anreiz, neue Spezialitäten auszuprobieren,“ bekräftigt Lahnsteiner-Chef Markus Fohr.

IMG_20170228_191249_864Auch Apostelbrauer Rudi Hirz ist mit seinem „Chuck´s Barrel Aged Spelt Ale“ stolzer Medaillenbesitzer beim Meiningers Award. Jetzt will er sich der Lagerung seiner Sude in speziellen Weinfässern widmen. Das Problem vieler Landbrauereien kennt Hirz nur zu gut. An den vielen Insolvenzen der vergangenen Jahre erkenne er, dass viele Traditionsbrauer vor allem den „Craftbierzug“ verpasst haben. Manchem seiner Kollegen fehle der Mut mal etwas Anderes auszuprobieren. Sein Urteil: „Die Zeiten sind vorbei, dass der Mensch sein ganzes Leben immer nur das gleiche Bier trinken will.“

Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.

 

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