Craftbeer in Kanada: Aufbruchsstimmung im Land der Bären und Wölfe

Die Craft-Szene in Kanada entwickelt sich rasant zum Spiegelbild der USA. Immer mehr Microbreweries öffnen ihre Pforten und begeistern mit ungewöhnlichen Bieren sowie kultigen Brewpubs ihre Fans.

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John Palko, Braumeister von Jasper Brewing

Eisiger Wind pfeift durch die menschenleeren Straßen von Jasper, dem alten Handelsposten der Hudson’s Bay Company am Athabasca River. Der 5000-Seelen-Ort in der kanadischen Provinz Alberta, inmitten der kanadischen Rocky Mountains, wirkt wie ausgestorben. Nur ein paar Wapiti-Hirsche kreuzen den Weg durch den Ort. Wer hier in der kalten Jahreszeit pulsierendes Leben sucht, der trifft sich in einem hölzernen Flachbau am 624 Connaught Drive, in Gehweite vom Wildlife Museum. Öffnet man die Tür zum Jasper Brewpub, schlägt einem brütende Hitze, pralle Lebensfreude und der Duft wilder Hopfenkombinationen entgegen. In der quirligen Kneipe sitzen Alt und Jung wie in einer Großfamilie vor ihren Pint-Gläsern und genießen die hauseigenen Craft-Biere. Auf den sechs TV-Bildschirmen der ersten Brauerei im Jasper National Park läuft gerade ein nationales Eishockey-Match. Während die Gäste dem Regionalteam zujubeln, kommt Braumeister John Palko mit Nachschub seines „Bear Ale“, das er mit Honig, Koriander und deutschen Aromahopfen angesetzt hat. „Hier ist jeden Abend die Hölle los“, freut sich der 30-Jährige Rauschebart, „die Leute rennen uns wegen unserer Kreativbiere inzwischen die Bude ein.“

Die Craft-Bierbewegung ist in Kanada auch außerhalb der Metropolen Toronto, Montreal und Vancouver angekommen. Im Schatten der USA entwickelt sich das Land der Bären und Wölfe derzeit selbst in abgelegenen Provinzen zum Abbild der südlichen Nachbarn. Aber die kanadische Craft-Szene ist älter, als man denkt. Schon vor 25 Jahren entstanden in der Ostküsten-Provinz Québec die ersten Kreativbrauereien. Aufbruchsstimmung herrscht jetzt auch in den ländlichen Distrikten: gab es im Jahr 2000 noch 310 Brauereien, verdoppelte sich ihre Zahl inzwischen auf mehr als 640 Hotspots zwischen Nova Scotia und dem Yukon Territory. Fast 500 davon brauen allerdings weniger als 2000 Hektoliter per Anno, schreibt der Fachverband „Beer Canada“ in seinem Jahresbericht. Zwar nehmen bislang noch insgesamt 35 Bier-Companies rund 90 Prozent des Marktes ein, aber die lokalen Microbreweries erobern – wie in den USA – immer mehr Genuss-Terrain. Mittlerweile liegt der Anteil von Craft-Bier landesweit bei sechs Prozent. In Regionen wie British Columbia stammen 20 Prozent der verkauften Sorten bereits aus dem Sudkessel der Kreativbrauer. Die westkanadische Region, die etwa dreimal so groß ist wie Deutschland aber nur rund 4 Millionen Einwohner aufweist, zählt heute mehr als fünfzig Craft Breweries und unzählige Brewpubs.

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Neben immer mehr Wirtshausbrauereien schießen auch viele neue Craft-Bars wie Pilze aus dem Boden. Nicht nur in den Großstädten kann man sich über manchmal annähernd fünfzig Zapfhähne mit unterschiedlichen Suden freuen. Zwar nimmt das Interesse der Kanadier an modernen Stouts, IPAs oder belgischen Suden enorm zu, aber der Pro-Kopf-Konsum pro Jahr liegt lediglich bei rund 65 Liter – aber vor allem der Craft-Sektor holt derzeit mächtig auf. In der Statistik des Bier-Verbandes in Ottawa blitzt auf, dass sich unter den neuen Biergenießern erstaunlicherweise bereits über vierzig Prozent Frauen befinden. Das lässt sich rein optisch auch im Jasper Brewpub erkennen. Einige Genießerinnen verkosten sich durch das Probierblech mit sechs verschiedenen Proben, die anderen sitzen vor ihrem Glas, das so vollgeschenkt ist, dass es eine Kunst ist, beim Anheben nichts zu verschütten. Braumeister Palko hat fünf Standardbiere im Repertoire, darunter das bernsteinfarbene und sehr fruchtige „Rockhopper IPA“, das röstige „6060 Stout“ oder aber das „Blueberry Vanilla Ale“, gebraut mit Blaubeeren und Vanilleschoten. Solche Sude sollen den Gästen nicht nur Genussfreude bereiten. „Unsere Philosophie ist es“, so Palko, „die absolut höchste Qualität eines Biererlebnisses zu vermitteln.“

imag6179Knapp 300 Kilometer südöstlich von Jasper, nur wenige Meter vom reißenden Bow River entfernt, funktioniert das gleiche Prinzip. Hier in Banff eröffneten die Macher von Jasper vor sechs Jahren auch eine weitere Biermanufaktur – inklusive Szene-Bar: die „Banff Ave. Brewing“. Seitdem werden auch in der idyllischen Kleinstadt am Osthang der Rocky Mountains, etwa 2000 Hektoliter im Jahr gebraut. Im dazugehörigen Brewpub gibt es meist sieben Biere im Sortiment. Als außergewöhnlichste Sorte bezeichnet Banff-Manager Lukasz Ptaszynski das „Lower Bankhead Black Pilsner“, ein Schwarzbier, das nach deutschem Vorbild entwickelt wurde, und das der Renner bei den Einheimischen sei. Die Gäste zelebrieren jedoch eine ganz ungewöhnliche Trinkgewohnheit: „Im Winter mischen die Leute gern unsere Biere quer durcheinander“, sagt Ptaszynski, „bevorzugt Stout mit Cream Ale oder aber auch Stout mit unserem Black Pilsner.“ So würde jeder Gast mit den Bieren seine ganz individuellen Geschmackswünsche kreieren.

Solch ausgefallene Vorlieben stören die drei Brauer von Banff Brewing keineswegs. Kreativität und Innovation ist auch das wichtigste Kriterium der kanadischen Braukunst. Die meisten Microbreweries produzieren nur rund um den Kirchturm. Wer Glück hat, findet aber auch regionale Marken in den gut sortierten „Liquor Stores“, die mit meterlangen Bierregalen aufwarten. Von den rund 600 kanadischen Brauereien liefern einige – darunter Steamworks aus Vancouver – auch nach Deutschland. In der ehrgeizigen Braustätte werden die Kessel noch mit Dampfleitungen aus der Pionierzeit angeheizt. Im Jahr 1995 startete Eli Gershkovitch die Produktion mit dem Ziel, auch die kanadische Genusswelt nach US-Vorbild mit aromatischen Bieren aufzustocken. Inzwischen ist Steamworks auch in europäischen Kehlen angekommen. Neben Jasmin-IPA und Red Ale brauen die Westcoast-Macher auch klassisches Pils und Kölsch. Die Zauberdrogen von Steamworks sind jedoch aktuell das „YVR“-Session Ale, das „Farmhouse Wheat Ale“ oder das „Killer Cucumber“, das mit frischen Salatgurken gebraut wird. „Solch kreative Sude sind erst der Anfang unserer Geschichte, wir wollen in Kooperation mit Hopfenzüchtern und Wissenschaftlern künftig noch viel ungewöhnlichere Biere rausbringen“, verspricht Brauereichef Gershkovitch.

Als Innovationstreiber der kanadischen Craft-Branche steht der Steamworks-Chef jedoch nicht allein. Unter den Stars der Szene befinden sich auch die Brauer von die Grizzly Paw Brewing in Canmore, Alberta, die mit malzigen-nussigen Brown-Ales oder knackigen Himbeer-Ales aufwarten können. In diese Liga gehört ebenso die Muskoka Brewery aus Muskoka in Ontario, die mit einem seltenen Schokoladen-Himbeer-Stout punktet oder McAuslan Brewing in Montreal mit ihrem Spicy Pumpkin Ale sowie einem Weizenbier, das mit Aprikosen angesetzt ist. Weitere Helden des Kanada-Hypes sind die Brasserie Dunham in Quebec, die Le Bilbouquet Microbrasserie in Saint-Hyacinthe, die Quidi Vidi Brewing Co. in St. John’s, Neufundland oder die Church-Key Brewing in Campbellford, Ontario, und die Yukon Brewing in Whitehorse, nahe dem Polarkreis.

Durch gemeinsame Initiativen schaffen die kanadischen Kreativbrauer für landesweite Aufbruchsstimmung. In Toronto, die Hauptstadt der Provinz Ontario, wollen sich jetzt 13 Braustätten in einem eigenen „Bier-Distrikt“ zusammenschließen. Damit wollen sie nicht nur die Vermarktung neuer Gerstensäfte ankurbeln, sondern auch das Craft-Thema voranbringen. Außerdem wird in Kanada wieder Hopfen angebaut. Die Bedingungen waren in den vergangenen Jahrzehnten angeblich nicht optimal, aber durch Klimawandel und steiler Nachfrage befeuert, stecken einige Pflanzer ihr Herzblut wieder in die Doldengewächse. Bislang mussten heimische Brauer 99 Prozent der Sorten aus dem Ausland kaufen.

Inzwischen braucht sich Kanada in Sachen Craft-Bier nicht mehr hinter seinem US-Nachbarn zu verstecken. Angesichts satter Wachstumsraten schaut John Palko, der Braumeister von Jasper, voller Zuversicht in eine blühende Bierlandschaft: „Wir Kanadier bevorzugen seit jeher lokale Produkte, davon können die regionalen Mikro-Brauereien jetzt immer mehr partizipieren.“

Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin.

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Cheers! 🙂

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