Für manchem Bierfan mag es eine geschmackliche Herausforderung sein. Aber rund um den Globus schwören Craft-Brauer immer mehr auf den Geschmack von Erdnussbutter im Sud. Vorreiter bei diesem speziellen Aromakick sind die USA.
Credit Belching Beaver Brewery
Egal ob pur, geröstet oder gesalzen, als Brotaufstrich, in Donats oder im Gebäck: Amerikaner stehen total auf Erdnüsse, in jeder Form und Konsistenz. Am liebsten futtern sie diese allerdings in Form von Erdnussbutter. Kein Wunder also, dass diese kalorienreiche Gaumenfreude auch gern mal in den Sudkesseln kreativer Brauer landet.
Wer sich im internationalen Bierkosmos umsieht, der findet jedenfalls immer mehr Sude mit Erdnussbutter-Geschmack. Bei den meisten Sorten handelt es sich um Stouts und Porters, aber auch IPAs bekommen ihren Kick durch Zugabe spezieller Nuss-Aromen. Als absoluter Klassiker gilt das 5,3-prozentige „Peanut Butter Milk Stout“ von Belching Beaver in San Diego. Im Duft und auf der Zunge zeigen sich Aromen von gerösteten Erdnüssen, dunkler Schokolade und Kaffee. Das Bier ist so beliebt, dass es längst zu den Bestsellern der Brauerei zählt und inzwischen auch in mehreren Varianten wie etwa als cremige Nitro- und als zimtige Mexican-Version aus den schicken Dosen fließt.
Auch bei Left Hand Brewing aus Longmont in Colorado gehört das „Peanut Butter Milk Stout“ mit 6,2 Umdrehungen zu den Kassenschlagern der Braustätte. Die Brauer packen neben Erdnüssen und Erdnussbutter-Aromen für ein cremigeres Mundgefühl auch noch Laktose in die Kessel. Auch an der Ostküste der USA setzen die Macher von DuClaw Brewing in Baltimore auf Erdnussgeschmack, am liebsten in Porters. Eine Sorte mit dem schrägen Namen „Sweet Baby Jesus“ ist erfolgreicher Teil ihres Kerngeschäfts. Dabei handelt es sich um ein schokoladiges und angenehm cremige schmeckendes „Chocolate Peanut Butter Porter“.
Dass Erdnussbutter selbst in India Pale Ales funktioniert, beweisen die Macher von Westbrook Brewing in Mt. Pleasant in South Carolina. Ihr siebenprozentiges, gelborangefarbenes und trübes „Peanut Butter Shake IPA“, gebraut mit speziellem Erdnussbutter-Puder, Laktose und Vanille erzielt bei mehr als 3000 Bewertungen auf der Plattform „Untappd“ stolze 3,95 Punkte von fünf.
Biere mit solchen Nuss-Aromen sind längst nicht mehr allein in den USA gefragt. Auch die rumänischen Macher von Hop Hooligans sowie die polnischen Kreativlinge von Deer Beer produzieren dunkle Peanut Butter-Biere. Aber auch die Garden Brewery aus Kroatiens Hauptstadt Zagreb führt ein 6,9-prozentiges „Chocolate & Peanut Butter Stout“ im Portfolio. Das weiche Mundgefühl und ein Aroma von Erdnussbutter und Schokolade erzielen die Kroaten durch ein besonderes Malz und den Beigaben von Kakao-Nibs. Den Brauern von DeMoersleutel aus dem niederländischen Alkmaar reichen geröstete Erdnüsse noch nicht aus, sie geben ihrem 13-prozentigen Imperial Stout namens „Willy Tonka“ noch einen besonderen Kick durch die Verwendung von Tonkabohnen.
Aber auch deutsche Brauer trauten sich inzwischen an einen Erdnussbutter-Sud. So entwickelten die Chefs von Frau Gruber Craftbrewing aus Gundelfingen und Brewheart aus Otterfing gemeinsam ein Chocolate Peanut Butter Imperial Stout namens „Psychodelic Peanuts“. Gebraut ist das 10,8-prozentige Bier mit 25 Prozent Erdnussbutter und Kakaobohnenbruch. Das entspricht zwar nicht dem Reinheitsgebot, passt dafür aber umso besser als Dessert zu einem Grill-Event.
Tradition und Regionalität zählen zu den wichtigsten Erfolgsfaktorender Privatbrauerei Aying. Doch trotz eines konservativen Werte-Kosmos, zählt der oberbayerische Familienbetrieb zu einem der modernsten und beliebtesten Braustätten im Lande.
Helles zwickeln
„Das schönste an München ist die Straße nach Aying“ – so hieß einst der provokante Werbeslogan der Privatbrauerei, der vor allem Besucher aus der bayerischen Landeshauptstadt in das 25 Kilometer südöstlich gelegene Bilderbuchdorf locken sollte. Gemessen am heutigen Bierausstoß von rund 100.000 Hektoliter war die Kampagne offensichtlich höchst erfolgreich. Aber in der idyllischen Voralpenlandschaft gibt es neben gutem Bier noch weitere Attraktionen: In der Dorfmitte, gleich neben der Kirche, steht einer der höchsten Maibäume der Welt, flankiert von Brauereigasthof, Bräustüberl, Heimatmuseum und einem der schönsten Biergärten der Region. „Wir sind stolz auf unsere Heimat“, bekräftigt Brauereichef Franz Inselkammer Junior im standesgemäßen Trachtenjanker, „bei uns wird bayerische Bierkultur mit all seinen Facetten gelebt.“
Wer die 143-jährige Geschichte der Privatbrauerei nachvollzieht, dürfte sich kaum wundern, dass der Ayinger Musterbetrieb seine Biere inzwischen mit Hilfe modernster Brautechnologie produziert. Um die Qualität der Gerstensäfte weiter zu verbessern, innovieren die Oberbayern auch permanent ihren Produktionsprozess in Richtung Nachhaltigkeit. Mit einem neuinstallierten System für die Flaschenreinigung konnten nach eigenen Aussagen 87 Prozent des Wasser- und Wärmebedarfs eingespart werden. Im vergangenen Jahr gewann Franz Inselkammer dafür den Bayerischen Energiepreis in der Kategorie „Energieeffizienz in industriellen Prozessen und Produktion“. Inselkammer weiß: „Die beste Tradition kann nicht bestehen, wenn man nicht mit der Zeit geht.“
Zum Erfolgsrezept gehören für den Brauerei-Erben, neben neuesten Produktionstechniken, auch tiefverwurzelter Heimatsinn, Tradition und Regionalität – vor allem aber die Liebe zum Bier. Dabei legt der 38-jährige Vorzeigebayer, der das Unternehmen in sechster Generation leitet, großen Wert auf die Tatsache, dass die Ayinger Brauerei bislang keinen Millimeter vom Reinheitsgebot abgewichen ist. Dass sich Ayinger Bier schon bei der Einweihung der Braustätte durch den Gründer Johann Liebhard besonderer Beliebtheit erfreute, wird noch heute gern nacherzählt. Jedenfalls muss der erste Ausschank am 2. Februar 1878 in ein grandioses Besäufnis ausgeartet sein. So schrieb Liebhard in sein Tagebuch: „Von uns das erste Bier ausgeschenkt, sehr gut und alles voll Leut. Michl und Müller von Höhenkirchen solche Räusch, dass sie beim Heimfahren zehnmal umgeworfen.“ Dieser Spruch ziert heute noch immer die Ayinger Bierdeckel.
Die Beliebtheit für Ayinger wuchs – bedingt durch Kriege und Wirtschaftskrisen – zunächst langsam, aber Stilllegungen benachbarter Braustätten, teils durch Münchner Großbrauereien, ließen Kundenstamm und Bierausstoß wachsen. Mit Kauf des ersten Lastwagens wurde das Bier schließlich auch nach München transportiert. So verkaufte man 1929 schon rund 5.000 Hektoliter in die nahegelegene Landeshauptstadt. Mitte des 20. Jahrhunderts kam dann durch Erbfolge der Guts- und Gasthausbesitzer Franz Inselkammer, der Großvater des heutigen Bräus, aus dem benachbarten Siegerstbrunn mit ins Unternehmen.
Seit 2010 ist nun Franz III. mit im Unternehmen, der die Philosophie der Braustätte lebendig weiterlebt. Rund siebzig Mitarbeiter begleiten heute ein Sortiment mit 16 Ayinger Sorten, die von Helles über Weißbier, Pils, Kellerbier und Altbayerisch Dunkel bis hin zu saisonalen Suden wie Frühlingsbier, Maibock, Kirtabier, Weizenbock und Winterbock reichen. „Die Saisonbiere sind uns enorm wichtig, weil wir so eine geschmackliche Vielfalt während der Jahreszeiten ermöglichen“, bekräftigt Brauereidirektor Helmut Erdmann.
Helmut Erdmann und Franz Inselkammer
Das Besondere an den Ayinger Bieren ist, dass sie absolut sortenspezifisch sind. So besitzt das Dunkle angenehme Röstaromen, das klassische Helle zeigt sich mild und süffig, das Pils mit einer moderaten Bittere und schlankem Körper, während sich das Weißbier einschmeichelnd fruchtig mit typischen Bananenaromen präsentiert – alle Biere immer perfekt ausbalanciert. Obwohl er seiner Stilistik treu bleibt, begrüßt Chef Inselkammer durchaus die internationale Craftbier-Bewegung mit ihren aromatischen Experimenten, zumal damit Bier wieder stärker als Genussmittel wahrgenommen wird. Aber dennoch finden die angesagten Kreativ-Sude ganz bewusst keinen Platz im Ayinger Sortiment: „Sie entsprechen einerseits nicht unserer traditionellen Philosophie und andrerseits brauen wir ja bereits 16 verschiedene Biere, die alle Ihren unverwechselbaren Geschmack haben,“ urteil Inselkammer.
Immerhin setzt das Brau-Team, das täglich sechs Sude an vier Wochentagen produziert, bei den Biersorten auf regionale Braugerste aus dem Ayinger Ortsumfeld – zehn Prozent der Sorte Marthe stammen sogar aus eigener Landwirtschaft. Die beiden für alle Bierstile verwendeten Hopfensorten Perle und Tradition kommen natürlich aus der Hallertau und das Wasser aus dem eigenen 180 Meter tiefen Brunnen. „Auch wenn heimische Rohstoffe kostentechnisch für uns Brauer eher nachteilig sind“, betont Inselkammer, „so bringen sie qualitativ jedoch viele Vorteile.“
Das zeichnet sich offensichtlich aus. Regelmäßig gewinnen die Ayinger Biere nationale wie internationale Preise. Im vergangenen Jahr sahnte die „Ur-Weisse“ beispielsweise beim Meininger’s International Craft Beer Award die Goldmedaille und die Auszeichnung „Weizen des Jahres 2020“ ab. Solche Prämierungen würden sich im Verkauf positiv bemerkbar machen, erklärt Brauereidirektor Erdmann, weil dadurch auch die Neugier auf die Biere wachse. Was jedoch für eine regionale Spezialitätenbrauerei eher ungewöhnlich ist: Ein gutes Drittel der Ayinger Bierspezialitäten werden inzwischen rund um den Globus ausgeliefert. Besonders beliebt scheint der „Celebrator“. Der 6,7-prozentige dunkle Doppelbock wird sogar im New Yorker „Museum of Art“ vom Fass ausgeschenkt.
Celebrator im Bräustüberl
Trotz aller Erfolge ist auch der Regionalmarkt der Ayinger gerade stark von Corona betroffen. Obwohl die Privatbrauerei einige Zuwächse beim Flaschenbier verzeichnen kann, ist das Virus ein harter Schlag für den Familienbetrieb. Alle Wirtshäuser sind derzeit geschlossen, alle Bierfeste abgesagt. „Die Gastroschließung schmerzt uns schon sehr“, bekräftigt Inselkammer, „aber mit guten Ideen stehen wir das schon durch.“
Dabei fehlt es den Ayingern keineswegs an Kreativität, um ihre Fans trotz Covid-Beschränkungen und zweitem Lockdown zu erfreuen. Im vergangenen Jahr gab es eine Wirtshaus-Wiesn mit klaren Abstands-Geboten, „Maß-to-go“ im Biergarten sowie eine Pferdekutsche, die durch den Heimatort fuhr, um die lokalen Bierfans zu versorgen. Das mit dem Pferdegespann kam wohl so gut an, dass Inselkammer Junior darüber nachdenkt, auch nach dem Corona-Wahnsinn einen Heimdienst mit der Kutsche zu organisieren. Außerdem lassen die Ayinger während des Lockdowns keine Zeit verstreichen, um weiter zu innovieren. Geplant ist die Realisierung eines neuen Logistik-Konzeptes, wie Franz Inselkammer erklärt: „Dadurch können wir die Qualität unserer Biere noch besser kontrollieren, was zu den wichtigsten Prämissen unserer Brauerei gehört.“
Allein in Deutschland werden pro Jahr mehr als zwei Millionen Tonnen Backwaren weggeworfen. Umweltbewusste Craft-Brauer setzen jetzt ein Zeichen: Sie brauen ihre Sude mit unverkauftem Brot und leisten dabei einen wichtigen Beitrag zum Thema Ressourcen-Verschwendung.
Bier und Brot bestehen nicht nur weitgehend aus denselben Rohstoffen, sie haben auch viele weitere Aspekte gemeinsam. Kein Wunder, dass diese Kombination auch immer mehr Craft-Brauer für sich entdecken. So entwickeln sie nicht nur aromatisch ungewöhnliche Biere, sondern engagieren sich gleichzeitig im Kampf gegen die Auswüchse einer Wegwerfgesellschaft. Das Stichwort der Stunde heißt Nachhaltigkeit.
Allerdings backen die Brauer nicht selbst, sondern verwenden unverkauftes Brot aus Bäckereien, Bistros oder Restaurants. Eine besondere Kooperation gingen jetzt die Macher von Brewdog mit dem Team des Berliner Dörrwerks „Rettergut“ ein, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, aus ungenutzten Lebensmitteln neue Produkte zu kreieren. Das Resultat dieser Zweckehe: Ein 6,3-prozentige New England IPA namens „Planet A“, das mit Brot vom Vortag und nicht verwendeten Aprikosen gebraut ist. In dieser Mixtur erhält das Bier eine leicht cremige Textur und ein angenehm süßlich-fruchtiges Aroma.
Auf ein besonderes Genusserlebnis setzen auch die Macher des 2018 gegründeten Startups „Knärzje“, was im hessischen Sprachgebrauch das Endstück eines Brotlaibs beschreibt. Für ihre Schöpfung probierten die Frankfurter unterschiedliche Brotsorten aus. So steckt angeblich in jeder Flasche eine Scheibe aussortiertes Bio-Brot. Wichtig ist vor allem die Kruste, die gibt dem Sud eine gewisse Süße. Das ergibt einen 4,9-prozentigen, gelborangefarbenen, schlank malzigen und süffigen Trunk. Das Knärzje-Bier kommt so gut an, dass es schon mit mehreren Awards ausgezeichnet wurde.
Aber nicht nur in Deutschland setzen Brauer auf spezielle Brotbiere. Auch das Jungunternehmen Damn Good Food & Beverages AG aus Weinfelden in der Schweiz schwört auf die Verwendung von überschüssigem Brot. Dieses wird zunächst getrocknet und zermahlen, bevor es in den Sudkessel kommt. Hierbei ersetzt es bis zu einem Drittel des Malzes. Die Schweizer Brauer erklären, dass rund acht Kilo unverkauftes Brot in 100 Liter ihres bernsteinfarbenen „Bread Beer“ stecken. Der Leitfaden ihrer Nachhaltigkeits-Strategie heißt sinnigerweise „Wertschätzender Genuss“.
Auch die Schweden stehen auf eine Kombination von Bier und Altbrot. So kollaboriert die Stockholmer Nya Carnegiebryggeriet in einer eher seltenen Verbindung mit dem städtischen Foto-Museum „Fotografiska“. Das Ergebnis ist ein Belgian Blond Ale, das neben Bio-Hopfen mit unverkauften Sauerteigbrot aus der Bäckerei und dem Restaurant des Museums gebraut wird. „Echo“, so der Name des Biers, legt einen fruchtigen, würzigen und leicht bitteren Charakter vor.
Auf mehr Hopfen-Power setzt hingegen das Team von „Toast“ in Bury, nördlich von Manchester. Die Briten stellen ihr gesamtes Portfolio aus Brot vom Vortag her. Neben süffigem Craft-Lager führen sie auch ein fruchtiges Pale Ale mit den Hopfensorten Admiral, Cascade, Olicana, Chinook und Jester sowie ein Session IPA mit Amarillo, Athanum und Liberty im Sortiment. Ihr Motto: „Beer with more Taste, World without Waste“. Damit leisten die Brauer einen starken Beitrag zum Thema Lebensmittelverschwendung, denn in England landen immerhin 44 Prozent des gesamten Brotes im Müll.
Es ist ein wahrlich bedenklicher Zustand: Dreiviertel aller Gastronomen fürchten wegen andauernder Covid-19-Beschränkungen und daraus resultierenden Umsatzeinbrüchen inzwischen um den Fortbestand ihrer Betriebe, wie aktuelle Umfragen der Branchenverbände ergeben. Es müsse sogar damit gerechnet werden, dass jeder vierte Betrieb in Insolvenz gehe.
Der Eiertanz der Bundesländer zwischen Geboten und Verboten, mit seinen Ausgangssperren, Maskenpflichten und Kontaktbeschränkungen, nervt inzwischen die ganze Szene rund ums Bier und schürt Insolvenzängste. Besonders betroffen sind Brauereien mit angeschlossener Gastronomie. Ihnen fehlt durch das Corona-Chaos im Lande derzeit jegliche Planungssicherheit. Die gesamte Branche – Wirte wie Brauer – fühlt sich von der Politik allein gelassen und wegen neuer Virus-Mutationen grassiert bereits die Angst vor dem nächsten Lockdown.
Dabei haben sich insbesondere die Gastronomen, wie kaum eine andere Berufsgruppe, geradezu heldenhaft an die strengen Corona-Auflagen gehalten. Sie haben Hygienevorschriften und Maskenpflichten zementiert, Trennwände installiert, Tische versetzt, sowie neue Heizsysteme und Luftreiniger gekauft. Da trotzdem die Zapfhähne schweigen müssen, versuchen viele Betreiber das Geschäft irgendwie noch mit To-Go-Angeboten am Laufen zu halten – aber die Einnahmen decken nicht einmal die Kosten.
Zwar wurden den Gastronomen großzügige Finanzhilfen versprochen, doch vielerorts werden – wegen angeblich mangelhafter Software – Abschlagszahlungen entweder gar nicht oder nur scheibchenweise ausgezahlt. Das alles ist ziemlich peinlich für diesen Staat.
Viele Gastronomen und Brauer denken gerade darüber nach, das Handtuch zu werfen. Aber trotz all dieser Umstände wäre ein unüberlegtes Kapitulieren definitiv der falsche Weg. Auch die Welt vor exakt hundert Jahren war von Unternehmenspleiten, Massenentlassungen und einer spanischen Grippe-Pandemie geprägt, die mehr als zwanzig Millionen Tote forderte. Danach begannen jedoch die golden zwanziger Jahre, in denen das Leben in den Städten tobte wie nie zuvor und die Zapfhähne in den Taprooms, Bierbars und Szene-Kneipen wieder glühten.
Die Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan, einst gegründet von Benediktinermönchen, gilt mit ihrer rund tausendjährigen Geschichte als älteste Braustätte der Welt. Hinter den ehrwürdigen Mauern wirkt heute nicht nur hochmodernste Brautechnik, sondern auch ein Team mit vielen neuen Ideen.
Wer den heiligen Berg von Weihenstephan erklimmt, der betritt ein historisches Terrain, das umrankt ist von Legenden und Geschichten über Krieg, Plünderung, Zerstörung und wunderbaren Suden, die maßgeblich den Ruf des bayerischen Bieres begründeten. Seitdem hier oberhalb von Freising, rund 40 Kilometer nordwestlich von München, einst durstige Benediktinermönche begannen in ihren Sudkesseln zu rühren, hat sich einiges im Weihenstephaner Brautempel getan. „Unser Erfolgsrezept ist das Spannungsfeld zwischen althergebrachtem Wissen des Bierbrauens“, betont Brauereidirektor Dr. Josef Schrädler, „in Kombination mit moderner Wissenschaft.“
So gilt die Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan mit ihrer erstmals urkundlichen Erwähnung von 1040, als die Ordensbrüder das offizielle Brau- und Schankrecht erwarben, nicht nur als älteste Braustätte der Welt. Durch die Zusammenarbeit mit der Technischen Universität für Brauwesen und Getränketechnologie, die sich gleich nebenan befindet, zählt sie auch zu einer der innovativsten Bierproduktionen überhaupt. Bis die Brauerei sich mit diesem Status rühmen durfte, erlebten die Gründer turbulente Zeiten mit beispiellosen Schicksalsschlägen. Als die Weihenstephaner Mönche im Jahre 725 unter Leitung des heiligen Korbinian das Benediktinerkloster gründeten, folgte 955 die komplette Zerstörung der Braustätte durch die Ungarn. Nach dem Wiederaufbau plünderten und verwüsteten im Dreißigjährigen Krieg erst Schweden, dann Franzosen und später die Österreicher im Spanischen Erbfolgekrieg das Weihenstephaner Heiligtum. Zwischen 1085 und 1463 brannte das Kloster dann auch noch viermal vollständig ab und wurde durch drei Pestepidemien, Hungersnöte sowie ein starkes Erdbeben lahmgelegt.
Brauereichef Josef Schrädler. Foto: Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan
Erst 1803, während der Säkularisation, wurde die Klosterbrauerei aufgelöst und alle Rechte gingen an den bayerischen Staat über. Ihren heutigen Namen trägt die Staatsbrauerei erst seit 1921 und ist seitdem ein nach privatwirtschaftlichen Maßstäben geführtes Unternehmen. Dass die Braustätte heute über modernste Technik verfügt, ist größtenteils Brauereidirektor Josef Schrädler zu verdanken. Der 57-jährige Betriebswirtschaftler, der auch als Professor an der Weihenstephaner Universität lehrt, führt das Unternehmen seit gut zwanzig Jahren und schreckt vor keiner Prozessoptimierung zurück: „Wenn die Qualität unserer Biere in irgendeiner Weise noch besser werden kann, dann setzen wir das sofort um.“
Das Engagement der Freisinger Brauer wird sichtlich auch belohnt. Im Sortiment finden Bierliebhaber heute insgesamt 16 Sorten, die mit unzähligen Medaillen geehrt wurden. Als Flaggschiffe der Staatsbrauerei gelten ein bananiges Hefeweißbier und das „Original Helles“, das sich durch eine gewisse Malzigkeit und einen würzigen Hopfen-Touch kennzeichnet. Für Starkbier-Fans gibt es den 7,4-prozentigen, dunklen Doppelbock namens „Korbinian“ sowie den mehrfach prämierten Weizenbock „Vitus“ mit 7,7 Prozent Alkohol, der mit wuchtigen Noten von Banane und getrockneter Aprikose überzeugt.
1. Braumeister Tobias Zollo und Braumeisterin Sina Fürlauf
Braumeister Tobias Zollo, der einen Jahresausstoß von 450.000 Hektolitern verantwortet, erweitert sukzessive das Portfolio. So tüftelte er mit seinem Team ein Jahr lang an einem Rezept für ein neues Helles mit ganz unterschiedlichen Hopfensorten. „Obwohl wir mit unserem neuen Bier vor allem jüngere Zielgruppen ansprechen wollen, vereinen wir auch dabei Tradition mit Moderne,“ bekräftigt Zollo. So präsentiert sich das Helle denn auch mit frischem Design und in der bauchigen Retro-Euroflasche.
Dass all ihre Biere nach dem Reinheitsgebot und mit überwiegend regionalen Rohstoffen gebraut werden ist für die Freisinger zwar gesetzt, aber dabei beschreitet das Braukollektiv teilweise Wege, die den meisten Traditionsbrauereien noch fremd sind. Um sich auch in der Craft-Szene zu positionieren, setzen sie auf Kollaborationen mit ausländischen Kreativbrauereien. So entstand aus purer Experimentierfreude schon ein 10,5-prozentiges Champagner-Bier namens „Infinium“, das gemeinsam mit Samuel Adams aus Boston angesetzt und mit französischer Sekthefe vergoren wurde. Zudem brauten die Bayern vor zwei Jahren mit den kalifornischen Kultbrauern von Sierra Nevada den Kollaborationssud „Braupakt“. Dabei handelte es sich um ein Weißbier mit sechs Prozent Alkohol, das mit den amerikanischen Hopfensorten Chinook und Amarillo gebraut wurde. „Sobald es nach Corona wieder aufwärts geht, wird es wieder einen neuen spannenden Collab geben,“ verspricht Weihenstephaner Braumeisterin Sina Fürlauf. Ihr Team sei bereits mit australischen Brauern im Gespräch.
Josef Schrädler schätzt den Ehrgeiz seiner rund 160 Mitarbeiter. Seit der umtriebige Brauereichef in Weihenstephan die Geschäfte führt, hat sich vieles verändert. Die Staatsbrauerei vergrößert sich nicht nur stetig, auch der Absatz hat sich mehr als verdreifacht. Nach einer Investition von rund 16 Millionen Euro eröffnete er erst im vergangenen Jahr ein neues Logistikzentrum mit einer Fläche von 11.000 Quadratmetern, um auch bei einem Exportanteil von rund 60 Prozent die komplette Logistik aus einer Hand abwickeln zu können. „Da wir zu den modernsten Betrieben in unserer Branche gehören wollen, haben wir in den vergangenen Jahren sehr viel Geld in Technik investiert“, umschreibt Schrädler den Erfolg seiner Brauerei.
Foto: Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan
Dass sich niemand in der Staatsbrauerei auf den Lorbeeren ausruhen darf, gilt auf dem heiligen Berg als ungeschriebenes Gesetz. Aktuell ist ein neuer Lagerkeller und eine moderne Anlage zur Entalkoholisierung in der Planungsphase. Damit erhoffen sich die Freisinger vor allem einen Innovationssprung bei alkoholfreiem Weißbier, zumal sie schon seit langem bei solchen Suden einen kontinuierlichen Aufwärtstrend registrieren. Allein im vergangenen Jahr konnten sie mit ihrem Angebot ein Ausstoßplus von fast 40.000 Hektolitern verbuchen. Inzwischen gibt es auch ein bleifreies Helles, das auf neue Zielgruppen abzielt. „Unsere alkoholfreien Sorten sorgen jetzt auch außerhalb Deutschlands für steigendes Interesse“, weiß Matthias Ebner, der in der Freisinger Braustätte als internationaler Markenbotschafter fungiert.
Trotz zahlreicher Neuerungen und modernster Technik, präsentieren sich die Weihenstephaner nach wie vor als ältesten Braustätte der Welt. Vordenker Josef Schrädler ist sich aber bewusst, dass Tradition heute als Verkaufsargument allein nicht mehr reicht: „Es gehört zwar zum Zeitgeist, dass sich Verbraucher gern auf alte Werte besinnen und dabei regionale Produkte mit individuellem Charakter bevorzugen, aber man sollte dabei nicht vergessen, dass hinter einer alten Brautradition meist viel Erfahrung und hohe Qualität steht.“
Wie in den vergangenen Jahren, war ich auch in diesem Herbst wieder bei der Hopfenernte in der Hallertau dabei. Obwohl die Ernte mit durchschnittlichen Erträgen gut verlief, zeigen sich Produzenten hinsichtlich der Nachfrage aus der Craft-Branche jedoch eher enttäuscht. Der Grund: Als die junge Bierszene hierzulande in Fahrt kam, haben manche Hopfenbauern noch voller Enthusiasmus ihre Felder gerodet und neue Aromasorten angepflanzt, um kreativen Jungbrauern eine Alternative zu bieten. Anfangs war die Begeisterung noch groß, als neue Hopfenspezis wie Mandarina Bavaria, Hüll Melon, Hallertauer Blanc oder Monroe in den Sud kamen.
Demotivierend für einige, die am deutschen Hopfenmarkt agieren, ist nunmehr die Tatsache, dass viele Craft-Brauer ihr grünes Gold derzeit lieber aus den USA beziehen als auf regionale Spezialitäten zu setzen. Ihr Argument: Hopfengewächse etwa aus dem Yakima Valley sind meist aromatischer und kommen mit speziellen Noten daher, die unvergleichbar sind.
Das mag nicht grundsätzlich falsch sein, aber: In den vergangenen Wochen habe ich bei Tastings fantastische Biere mit deutschen Flavour-Sorten wie Callista und Ariana probiert. Keine Frage, auch die Dolden aus der Hallertau, Tettnang oder der Elbe-Saale-Region bringen tolle Fruchtnoten ins Bier. Dabei muss es nicht immer um Fruchtbomben aus Übersee gehen.
Fakt ist: Deutsche Hopfenbauern sind seit jeher – bedingt durch ihr spezielles Terroir – spezialisiert auf filigrane Aromen. Darin liegt auch eine Chance für Craft-Brauer, wenn sie mit viel Kreativität daraus etwas Besonderes machen und sich dabei an der hiesigen Hopfenqualität orientieren. Schließlich geht es in unserer Konsumgesellschaft doch seit Jahren um Nachhaltigkeit und Regionalität. Warum also müssen wir uns vorrangig an amerikanischen Hopfenmustern orientieren, zumal auch hiesige Gewächse schmackhafte Fruchtnoten in den Sud zaubern? Vor allem ließen sich Biere mit heimischen Sorten auch für potenzielle Konsumenten vielleicht preislich deutlich attraktiver gestalten.
Immer mehr Brauer setzen auf Pastry Stouts, die ihren zuckersüßen Geschmack überwiegend durch Aromastoffe erzielen. Solche Biere sind selbst für Craft-Nerds äußerst gewöhnungsbedürftig: Sie schmecken nach Butterscotch, Käsekuchen oder Schokokeks.
Dass Stouts in Kombination mit Süßspeisen eine gewaltige Geschmacksexplosion auslösen können, ist selbst für ambitionierte Bierfans noch Neuland. Doch die meisten nachtschwarzen Sude mit Noten von Kaffee, Kakao oder Schokolade passen tatsächlich hervorragend zu Gebäck. Für manch internationale Craft-Brauer ist Bier als Beigabe zum Naschwerk aber offenbar zu langweilig: Sie machen den Sud zum eigenständigen Nachtisch.
Diese sogenannten „Pastry Stouts“ widersprechen eigentlich der Philosophie professioneller Brauer. Ziel der meisten Bierproduzenten ist es, einen Sud zu kreieren, der zwar hocharomatisch daherkommt, aber mit Harmonie und Eleganz aufwartet – und das alles ohne Aromastoffe. Bei Pastry Stouts ist das ganz anders. Die Sude präsentieren sich häufig hochalkoholisch, schon beinahe pappsüß und sind für ihren besonderen Geschmack vollgestopft mit Extrakten, Aromen oder Sirups. Ganz nach dem Motto: Viel bringt viel. Zum Einsatz kommen nicht selten Aromastoffe von Cookies, Marshmallows, Käsekuchen, Salzkaramell, Erdnussbutter oder Donuts – meist nach der Gärung. Bei deutschen Brauern stehen solche Sude unter scharfer Kritik, zumal sie völlig dem widersprechen, was sie in ihrer Ausbildung über die Herstellung von Bier gelernt haben.
Die derzeit bekanntesten Pastry Stouts stammen wohl aus Norwegen. Dort führt die 2011 gegründete Amundsen Bryggeri am südlichen Rand von Oslo gelegen, gleich eine ganze „Dessert Series“ mit mehr als zwölf verschiedenen Sorten. Bei den Dessert-Bieren aus der Dose bauen die Skandinavier bekannte Nachspeisen in flüssiger Form nach. So finden Bierliebhaber etwa ein in Bourbon-Fässern gereiftes Imperial Stout mit kräftigen 11,5 Umdrehungen, das mit Laktose und den Aromen Karamell, Schokolade, Erdnussbutter und Erdbeere versehen wurde. Oder aber eine 10,5 prozentige Version, die nach einem Cookie mit Schokoladenstücken und gesalzenem Karamell schmeckt sowie ein süßes Stout mit Salzkaramell-Käsekuchen-Himbeer-Aroma. Auch wenn sich so mancher Craft-Kenner grausen mag, die Brauer von Amundsen gelten mit den Pastry Stouts in ihrer Fangemeinde als besonders experimentierfreudig.
Etwas weiter im Norden Norwegens setzen auch die Brauer der Lervig Aktiebryggeri auf süße Sude. Ihr „Times 8 Imperial Pastry Stout“, das in Kollaboration mit Stillwater Artisanal aus den USA entstand, wurde mit Aromen von Zimt, Ahorn, Butterscotch und Kokosnuss vollgepumpt und legt ordentliche 16 Prozent Alkohol vor. Da diese Beigaben noch nicht ausreichen, stecken noch Kakaobohnen, Kaffee und Vanillezucker im Sud. Das Bier ist so deftig, sodass es sich nur um eine limitierte Charge handelte.
Wer sich nicht gleich an solch gewaltige Biere von Lervig, Amundsen & Co. traut und eher langsam in die Welt der Pastry Stouts eintauchen möchte, der sollte mal das „Schoko Bananen Stout“ von der Axiom Brewery aus Tschechien probieren. Diese Variation besitzt im Gegensatz zu ihren anderen Verwandten schlanke 6,5 Prozent und präsentiert in der Nase und auf der Zunge ein sanftes Aroma von Schokolade, Banane, Vanille und Kakao. Tatsache ist, dass die Interpretationen dieser Nachtischbiere noch lang nicht ausgereizt sind und wohl jeder sein flüssiges Dessert darunter finden kann.
Nein, Corona ist noch nicht vorbei. Auch wenn der Bierabsatz hierzulande im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr insgesamt um fast sieben Prozent eingebrochen ist, so können zumindest Craft-Brauer beruhigt durchatmen. Neben kleineren Kollateralschaden sind sie bislang keineswegs so hart betroffen, wie anfangs prophezeit. Vielmehr trifft der Einbruch vor allem Großbrauereien und Gastronomie mit voller Wucht.
Fest steht jedoch: Nur weil draußen eine Covid19-Pandemie tobt, ist die Lust auf kreative Sude niemand vergangen. Entlassungen und Kurzarbeit in der Wirtschaft haben dazu geführt, dass insbesondere Homeworker viel mehr Craftbiere zuhause konsumieren als jemals zuvor.
Gewinner der aktuellen Krise sind deshalb vor allem die Online-Biershops. Was wegen dem Lockdown durch fehlende Absätze in der Gastronomie verloren ging, konnten viele Craft-Brauer über das Internet-Geschäft weitgehend kompensieren. Corona-bedingt wird hier derzeit mehr Bier verkauft als sich die Betreiber wohl je erhofften. Nebeneffekt: Seitdem der Internetverkauf brummt, nehmen jetzt sogar renommierte Gourmet-, Wein- und Spirituosen-Portale kreative Sude in ihr Angebot auf.
Leidtragender der Covid19-Epidemie ist jedoch noch immer die Gastronomie. Aber seitdem nach Beendigung des Lockdowns die Beschränkungen gelockert wurden, Craft-Kneipen, Wirtshäuser und Biergärten wieder öffnen dürfen, geht es auch hier langsam bergauf. Inzwischen sind in der Szene viele neue Ideen entstanden, die sich auch nach der Epidemie für den Craft-Fan nachhaltig auswirken dürften.
Was wirklich wehtut, sind die Absagen der vielen Craftbier-Feste. Aber die Verschnaufpause nutzen viele Kreativ-Brauer, um Neuausrichtungen ihrer Marke vorzunehmen sowie mit solider Planung ihr Zukunftsgeschäfts zu gestalten. Außerdem brodelt es derzeit kräftig in den Versuchskesseln und die Craft-Gemeinde kann sich auf viele neue Sude freuen. Also: Keine Panikmache, bleibt optimistisch – Maske aufsetzen, Abstand halten und weitertrinken.
Mutige Brauer mit unkonventionellen Ideen, kreative Bierstile und eine quirlige Kneipenkultur: In Göteborg tobt eine aufregende Craft-Szene. Eine Tour durch die City beweist, warum die Universitätsstadt an der Westküste Schwedens der Bier-Hotspots Nummer Eins im Lande ist.
Brewers Beer Bar
Stockholm kennt wohl jeder. Aber unter Bierreisenden gilt Göteborg als wahrer Geheimtipp. In der zweitgrößten Stadt des Landes, die im kommenden Jahr ihren 400. Geburtstag feiert, leben knapp 600.000 Einwohner. Aber die schwedische West-Metropole, durch die sich idyllisch der Fluss Göta älv schlängelt, hat neben Scherengärten, verträumten Altstadtgassen, dem beliebten Liseberg Freizeitpark sowie einem berühmten Fischmarkt, noch einiges mehr zu bieten: In der quirligen Studentenstadt pulsiert eine spannende Craft-Bierszene, die unter Schwedens Genießern heute absoluten Kultstatus genießt.
Die City am Kattegat ist inzwischen einer der bedeutendsten Bier-Hotspots in Skandinavien. Neben mehr als ein Dutzend hippen Kneipen mit unberechenbarer Bierauswahl sind viele Micro-Brauereien, aber auch renommierte Marken mit wie Stigbergets oder Poppels in Göteborg ansässig, deren Sude die Herzen von Craft-Fans rund um den Globus höherschlagen lassen. Rund 35 Craft-Stätten tummeln sich hier – mehr als in den meisten bundesdeutschen Millionenmetropolen.
Die erste Brauerei in der Stadt gründete 1649 ein Deutscher namens Johan Casparsson Poppelman, die allerdings 1835 wieder schließen musste. Eine weitere Legende in der Göteborger-Biergeschichte ist der Schotte Georg Carnegie, der 1745 wegen eines gescheiterten Aufstandes nach Göteborg floh und dort eine Brauerei gründete. In Glanzzeiten soll diese mehrere Millionen Liter Porter im Jahr produziert haben. „Carnegie Porter“ gilt somit als älteste schwedische Marke, die heute noch existiert und von der schwedischen Großbrauerei Nya Carnegiebryggeriet produziert wird.
Braustätten in Göteborg gelten seit jeher als beliebt. Grund dafür war einst der boomende Exportmarkt, ausgelöst durch die Globalisierung im 18. Jahrhundert. Die schwedische Ostindien-Kompanie hatte damals eine hohe Bedeutung für die Wirtschaft. So wurden neben unterschiedlichsten Waren auch jede Menge Bier in den Fernen Osten verschifft. Im Jahr 1813 wurde die East India Company zwar geschlossen, aber in Göteborg rauchten die Brauereischornsteine weiter. Irgendwann ließ der Erfolg jedoch nach. Alte Backsteingebäude, in denen große Bierproduzenten wie Pripps und Lyckholms ansässig waren, stehen zwar immer noch, die Brauereien wurden aber inzwischen von Carlsberg aufgekauft und anschließend geschlossen. Um die 2000er Wende stand es dann wirklich katastrophal um die Bierszene in Göteborg.
Erst mit der Gründung der ersten Mikrobrauereien in der Stadt nahm die Szene wieder Fahrt auf. Als einer der wichtigsten Craft-Pioniere gilt Mikael Dugge Engström, der 2005 am südlichen Rand von Göteborg die Dugges Bryggeri in Mölndal gründete. Sein erstes Bier war ein fünfprozentiges amerikanisches Pale Ale namens „Avenyn Ale“, das Mikael für ein angenehm tropisches Aroma auch heute noch mit den Hopfensorten Cascade, Chinook, Citra und Simcoe braut. Die Nachfrage wuchs schnell, denn solche Biere waren auch den Schweden bis dahin unbekannt. Im ersten Jahr produzierte Engström rund 300 Hektoliter. Durch seinen Erfolg war die Kapazität seiner Anlage schon vier Jahre später mit 1.500 Hektolitern ausgereizt und ein größerer Standort mit einem Ausstoß rund 7.000 Hektolitern musste her.
Heute steht die Braustätte in Landvetter, etwas östlich der City von Göteborg. Im Dugges-Portfolio befinden sich neben diversen Pale Ales und India Pale Ales mittlerweile auch einige Frucht-Sauerbiere mit Birnen oder Erdbeeren sowie ein 11,5-prozentiges Imperial Stout mit Mango, Kokosnuss und Tonkabohnen. Hinzu kommen fassgereifte Spezialitäten aus Rotwein-, Whisky- und Sude, die in karibischen Rum-Fässern gelagert werden. Damit hat Ensgtröm noch lange nicht genug: „Wir wollen unsere Kapazitäten noch weiter ausbauen und unseren Traum, ungewöhnliche Biere zu brauen, auf jeden Fall weiterleben“.
Als besonders innovativ gilt auch die 2012 gegründete Poppels Bryggeri in Jonsered, nordöstlich vom Stadtzentrum gelegen. Das Gründerteam startete vor acht Jahren mit einem Brown Ale und legte dann ein amerikanische Pale Ale vor, das heute zu den nationalen Lieblingsbieren der Schweden gehört und in jedem „Systembolaget“, also den speziellen Alkoholgeschäften in Schweden, verfügbar ist. Bei ihren Bieren schwören die Newcomer auf hohe Bioqualität der Rohstoffe. Somit ist Poppels nicht nur eine der bekanntesten, sondern inzwischen auch die größte Bio-Brauerei Schwedens.
Credit: Poppels
Wie gut die Biere aus Jonsered ankommen, zeigt auch die Nachfrage von „Project 003“. Das Imperial Saison, gebraut mit Johannisbeeren, war bereits wenige Minuten nach Veröffentlichung komplett ausverkauft. Aber ihren Erfolg erzielt die Poppels Bryggeri auch durch die Leidenschaft zur Kombination von Essen und Bier. Das Team arbeitet eng mit Köchen und Lebensmittelherstellern zusammen. So basiert die gesamte Speisekarte im eigenen Brauerei-Restaurant auf Foodpairings mit Bier. Das Corona-Virus hinterlässt zwar auch seine Spuren in der schwedischen Gastronomie und in der Bierbranche, aber Magnus Pettersson von Poppels ist zuversichtlich: „Unsere Verkäufe laufen weiterhin hervorragend, sodass unser Unternehmen zum Glück noch immer absolut stabil ist.”
Etwas stärker von den Covid-Auswirkungen betroffen, scheint die 2012 gegründete Craft-Stätte Beerbliothek im Südwesten der Stadt. Nach eigenen Aussagen seien die Verkäufe an Restaurants und Bars in den vergangenen Monaten um 70 Prozent zurückgegangen. Das Team um die Gründer Adam Norman, Richard Bull und Darryl de Necker riefen allerdings eine erfolgreiche Social Media-Kampagne für den Kauf lokaler Biere ins Leben. Der Bierabsatz rund um den Kirchturm sei dadurch, laut aktueller Zahlen, um 45 Prozent gestiegen. Ursprünglich begannen die Schweden als hochkreative Hobbybrauer, die allein im Gründungsjahr schon 43 Biere auf den Markt brachten. Auf jeder Dose steht noch heute die chronologische Nummer des Suds. Zur Core-Range gehören neben leichtem Session IPAs und hopfig-fruchtigem IPAs auch ein elfprozentiges Imperial Stout sowie ein unfiltriertes Pils mit deutschen und nordamerikanischen Hopfensorten.
Neben ihren Klassikern setzen die Beerbliothek-Macher vor allem auf ungewöhnliche Experimente. Im Sortiment finden Bierliebhaber daher auch ein Oat Stout mit speziellem „Tarrazu“-Kaffee, eine Gose mit Mango, Melone, Maracuja und Stachelbeere oder aber ein IPA mit Kokosmilch und ein kaltgehopftes Sauerbier mit Orangenschalen. „Unsere Brauphilosophie ist relativ einfach“, betont Gründer Darryl de Necker, „wir produzieren ausschließlich Biere, die wir selbst trinken wollen.“ Gerade habe das Team einen Sud mit der Folgenummer 287 eingebraut. Frisch gezapft finden Aficionados diese Spezialitäten vor allem im hauseigenen Taproom am Varholmsgatan 4.
Ein eigener Schankraum gehört in der schwedischen Craft-Szene zum Erfolgsrezept. Diese Erfolgsformel haben auch die Macher von Stigbergets umgesetzt. Ihre Marke gilt als neuer Stern am schwedischen Craft-Bierhimmel. Gegründet wurde die Braustätte vor sieben Jahren mit der Intention ein Bier nur für das städtische Kino in Göteborg zu brauen. Inzwischen wird Braumeister Oli Banks schon international für seine IPAs gefeiert. Als Flaggschiff gilt sein „Amazing Haze“, das wohl das erste New England IPA in ganz Schweden war und auch schon reichlich Preise absahnte. Das 6,5-prozentige Bier legt Noten von Mango, Papaya und Pinie vor und wird von einer sanften Bittere abgerundet. Neben NEIPAs setz Banks jetzt auch immer mehr auf spontan vergorene Biere, experimentiert auch mit Fassreifung und arbeitet an Sorten mit weniger als 3,5 Prozent Alkohol. „Die Nachfrage nach aromatischen Leichtbieren steigt derzeit in Schweden deutlich an“, sagt der Stigbergets Braumeister, „wir hoffen, dass wir mit diesem Bierstil da noch einiges in Bewegung bringen können.“
An Ideen mangelt es jedenfalls den vielen Craft-Stätten in Göteborg nicht. So zählt auch das Team von Beersmiths zur Kreativ-Liga der Szene. Die junge Erfolgsbrauerei riefen der Brite Dave Barrat und sein Partnerin Malin vor fünf Jahren im Süden des Zentrums ins Leben. Vor der Gründung war Dave schon mehr als 30 Jahre als Freizeitbrauer tätig. Sein Traum war es aber schon immer eine eigenen Braustätte zu besitzen und seine Sude kommerziell zu verkaufen. Das gelang ihm in Göteborg. Im Portfolio von Beersmiths finden Craft-Fans neben diversen Lagern und IPAs auch ein NEIPA mit Laktose und Orange, eine Berliner Weiße, die für ihre rote Farbe und das fruchtige Aroma auf Kirschen gereift ist oder aber ein belgisches Witbier mit Lavendel.
Cooles Design von 0/0
Zu den innovativen Craft-Brauereien Göteborgs gehören außerdem O/O Brewing im Norden, All in Brewing am Hafen des Viertels Västra Eriksberg oder Barlind Beer auf der Insel Bohus-Björkö im Scheren-Archipel vor den Türen der Stadt gelegen. Letztere ist vor allem bekannt für ihr preisgekröntes IPA. Wer intensiv in die Szene Göteborgs und die Welt der lokalen Biere eintauchen will, der sollte unbedingt in den hippen Craft-Bars der Innenstadt einkehren. Zu den Highlights zählen etwa die beiden Locations der „Brewers Beer Bar“ mit wechselnden Suden vom Hahn. Hier gibt es zum Bier übrigens auch die angeblich beste Sauerteigpizza der Stadt. In der Nähe des Shoppingcenters Nordstan befindet sich der Pub „Ölrepubliken“ mit 30 Bieren vom Hahn und mehr als 200 verschiedenen Sorten aus Flasche und Dose. Aber auch die Craft-Kneipe „3 Små Rum“ lässt mit wechselndem Angebot die Herzen von Bier-Fans höherschlagen. Auch Brewdog und Omnipollo sind mit eigenen Bars in der Stadt vertreten.
Craftbier-Bar „Wärdshuset Tullen“
Mit diesem Angebot zählt Göteborg wohl zurecht als Bierhauptstadt Schwedens. Wer einmal durch die Brauereien, Taprooms und Kneipen der Stadt gezogen ist, wird von der Vielfalt der Szene begeistert sein. Die Biere der Craft-Zauberer sind bekannt für einen eigenen Touch: Egal ob klassisches Lager, hopfige IPAs, deftige Stouts oder fassgereifte Spezialitäten sowie kreative Sauerbiere, es gibt wahrscheinlich keinen Bierstil und kein Experiment, das die schwedischen Craft-Brauer auslassen. Und das Beste: Die Szene wächst immer weiter.
Farbe und Schaum reichen für eine attraktive Bier-Optik wohl nicht mehr aus. Vor allem in den USA setzen jetzt immer mehr Brauer auf einen neuen visuellen Kick: Sie bieten ihre Sude mit seltsamen Glitzer-Effekten an.
Credit: Devil’s Backbone Brewing
Jedermann weiß, ein gutes Bier sollte man mit allen Sinnen genießen. So sind nicht nur Aroma, Duft und Geschmack entscheidend, sondern auch die Optik – denn das Auge trinkt mit. Eine attraktive Farbe, eine gleichmäßige Trübung sowie ein feinporiger und stabiler Schaum regen den Appetit an und machen Lust auf den ersten Schuck. Offensichtlich reicht das experimentierfreudigen Brauern aber nicht mehr aus. Um das Aussehen noch etwas zu pimpen, packen internationale Crafter für den optischen Kick jetzt bunten Glitzer mit in den Sud.
Als Vorreiter bei dieser funkelnden Erscheinung gelten – wen wundert’s – die US-Brauer. Egal ob IPA, Winter Ale oder Sauerbier, inzwischen gibt es kaum einen Bierstil, der nicht mit essbarem Glitter versehen wird. Aber keine Sorge: Die schimmernde Beigabe dient allein der Optik, auf den Geschmack hat es keinen Einfluss. Und der Glitzer-Staub ist so zart, dass er über das Mundgefühl nicht wahrnehmbar ist.
Eine der Pioniere der Glitter-Sude ist die Brauerin Lee Hedgmon von Ground Breaker Brewing in Portland. Sie gab in ihr belgisches Triple auf 30 Liter bloß drei Gramm Glitzer – und um die Optik des Bieres noch ungewöhnlicher zu gestalten, kippte Hedgmon noch etwas blauen Curaçao hinzu. Das Ergebnis: Ein schimmerndes, grünes Bier, das trotz schräger Optik ein aromatisches Geschmacksbild präsentiert. Ausgeschenkt wurde der Spezialsud allerdings zunächst nur auf einem regionalen Bierfest.
Es sind wohl vor allem farbenfreudige Frauen, die auf den Glitzer im Bier stehen. So auch Madeleine McCarthys, die Brauerin von Sasquatch Brewing in Portland. Sie legte ein 5,6-prozentiges New England Pale Ale namens „Gold Dust Woman“ auf, das mit Azacca und Galaxy gehopft ist, somit eine intensive tropische Fruchtigkeit präsentiert. Aber das Wichtigste: für den optischen Kick steckt noch eine ordentliche Dosis Goldstaub drin. Dass dieses Bier stark polarisiert, beweist ein Video auf der Website des Medienunternehmens Buzzfeed, das dort über acht Millionen Mal geklickt wurde. Zudem soll es das erste Glitzerbier weltweit gewesen sein, das auch in Dosen abgefüllt wird.
Die meisten Brauereien, die Sude mit dem funkelnden Extra produzieren, sehen das jedoch als einmaliges Experiment. Dabei färben einige Sud-Zauberer das Bier zusätzlich grün, um beispielsweise ein Special für den irischen Nationalfeiertag „St. Patricks Day“ zu kreieren. Andere spielen mit ungewöhnlichen Namensgebungen, wie etwa die DuClaw Brewing Company aus Baltimore. Dort wird einmal im Jahr ein 5,5-prozentiges Sour Ale namens „Unicorn Farts“ gebraut, das übersetzt so viel bedeutet wie Einhorn-Pups. Gebraut ist das Bier mit bunten Cornflakes, Früchten und Glitzer.
Eine Glitter-Welle rollte auch durch San Francisco, wo Craft-Stätten wie Cellarmaker, Black Hammer Brewing oder Barebottle Brewing auf das Schimmern im Glas setzten. Brauereien wie Ska Brewing in Colorado, Three Weavers Brewing Company in Kalifornien oder Devil’s Backbone Brewing in Kentucky folgten. In letzterer Braustätte gibt es ein im Weinfass gereiftes Sour Grapefruit Ale mit Glitzer und dem Namen „Glitter Bomb“ sogar regelmäßig im Verkauf.
Hierzulande ist der Glitzer-Wahnsinn bisher wohl noch nicht angekommen. Kleiner Tipp: Wer selbst ein Glitter-Bier herstellen möchte, kann sich einfach in der Backwarenabteilung essbaren Goldstaub kaufen und in jedes Bier seiner Wahl rühren.