ISLAND: Aufbruchsstimmung im Wikingerland

Am Rande des Polarkreises entsteht gerade eine neue Craft-Bierszene mit originellen Szenebars und einzigartigen Braustätten. Bei ihren Sudexperimenten greifen die Isländer gern auch zu Krähenbeeren, Schafsköpfen und ausgefallenem Meeresgetier.

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Skúli Craft Bar

Durch die Straßen von Reykjavik fegt ein eisiger Schneesturm. Es ist der letzte Tag im Jahr und in der quirligen Bar-Szene der Inselhauptstadt tobt das Leben. Zwischen Rathaus und Siedler-Museum drängen sich immer mehr Leute in die „Skúli Craft Bar“ um ihren Durst zu stillen. Es ist Happy Hour – zwei Biere zum Preis von einem. Die in schlichtem Design eingerichtete Kneipe ist brechend voll und die Barkeeper zapfen sich an 14 glänzenden Hähnen die Hände wund. Eine enorme Auswahl heimischer Biersorten prangt auf einer großen Tafel hinter dem Tresen. Als Bestseller gilt ein mit isländischen Kräutern gewürztes Pils namens „Bríó“ vom Borg Brugghús, der derzeit wohl umtriebigsten Braustätte im Lande. Aber: „Das Interesse an verschiedenen Bierstilen wächst bei den Isländern gewaltig“, sagt Bartender Jón Svanur Sveinsson, „immer häufiger wird nach IPAs, Imperial Stouts und Sauerbieren gefragt“.

Die karge Insel im Nordatlantik gilt derzeit als Reise-Hotspot für Touristen aus aller Welt. Immer mehr Besucher kommen aber nicht nur wegen der atemberaubenden Landschaft mit ihren gigantischen Lavawüsten, sprudelnden Geysiren und brodelnden Vulkanen. Inzwischen lockt das Land der Trolle auch als spannende Craft-Bierregion. Dabei war Bier oberhalb von 2,25 Prozent hier bis 1989 sogar noch verboten. Hundert Jahre lang wurde das Land nicht nur durch Vulkanausbrüche erschüttert, sondern auch durch Abstinenzbewegungen und groteske Prohibitionsgesetze, die dem zügellosen Wikingervolk den Genuss starker Biere untersagten. Doch jetzt brauen wieder rund sieben Braumanufakturen quer über die Eis-Insel ganz individuelle Sude und bestücken damit die hippen Bierbars von Reykjavik. Der Nachholbedarf scheint ziemlich groß. „Die Craft-Bierbewegung ist jetzt auch bei uns angekommen und wir genießen die neue Biervielfalt in vollen Zügen“, bestätigt Arthúr Björgvin Bollason, ein bekannter Szene-Kenner und renommierter Reisebuchautor.

Mitten im Herzen von Reykjavik trifft sich die Craft-Community auch in der „MicroBar“. Schon der Gang die Treppe hinunter in den Schankraum, zaubert jedem Hop-Head ein Lächeln ins Gesicht. Es duftet intensiv nach Bier und rund 20 Fässer isländischer Craft-Spezialitäten schmückten den Eingangsbereich. Die Uhr zeigt gerade mal halb neun, aber die Bar ist schon beträchtlich voll. Für Neugierige gibt es am Tresen verlockende 10er-Sampler. So können Besucher alle Sorten von den zehn silberglänzenden Zapfhähnen probieren. Mit dabei: Ein Bier, das nach pürierten Erdbeeren duftet, ein Stout mit dem Aroma von starkem Filterkaffee sowie ein IPA mit einer Bittere, die den Gaumen vibrieren lässt. Die meisten Biere stammen hier aus der 2011 gegründeten Gæðingur Micro Brewery mit Sitz in Sauðárkrókur im Nordwesten der Insel. An zwei Hähnen fließen wechselnde Gastsude.

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Probierbrett in der MicroBar

Besonders beliebt auf Island sind die Kreationen aus dem Borg Brugghús, einem Ableger des größten Reykjaviker Brauerei-Unternehmen namens Ölgerðin Egill Skalagrímsson. Ihr 5,9-prozentiges IPA „Úlfur“, übersetzt „Wolf“, mit klassischen Noten von Grapefruit und Orange, war das erste seiner Art in Island. Gebraut ist es mit fünf Hopfensorten: Columbus, Cascade, Amarillo, Simcoe und Magnum. Damit konnten die Isländer bereits einige internationale Auszeichnungen – wie etwa beim World Beer Award – abräumen.

Wer sich in Island aufhält, sollte von Borg auch mal das kräftige Imperial Stout namens „Surtur“ mit neun Prozent Alkohol sowie das nordische Saison „Leifur“ – benannt nach Islands Entdecker Leif Eriksson – probieren. Dieser Hopfentrunk überrascht mit einem Aromaspiel von tropischen Früchten, weißem Pfeffer sowie Heidekraut und Thymian. Das Geschäft mit fast fünfzig verschiedenen Kreativ-Suden läuft so gut, dass sich der Ausstoß jedes Jahr nahezu verdoppelt. Derzeit liegt das Borg-Team bei rund 600.000 Litern – nicht wenig bei einer Gesamtbevölkerung von gerade mal 300.000 Einwohnern.

Da guter Hopfen in Kältezonen schlecht gedeiht, versuchen die Nordmänner von Borg inzwischen das grüne Gold in Gewächshäusern anzupflanzen. Jedoch allein isländische Zutaten erzeugen ein individuelles Aromaspektakel. So kommen bei den Borg-Brauern auch frische Wildkräuter, Moosbeeren oder schwarze Krähenbeeren in die Kessel. Im Juni brachte das Brugghús ein Kollaborations-Stout zusammen mit der norwegischen Brauerei „Voss“ in die Regale. In Anlehnung an alte Wikinger-Traditionen legten die Macher ganze Schafsköpfe in den Sud. „Wir wollten damit eine kulturelle Verbindung beider Länder in das Stout-Projekt einbringen“, sagt Borg-Brauer Árni Theodor Long. Die isländischen Schafschädel seien dabei naturbelassen, während die norwegischen gesalzen und geräuchert in den Trunk kamen.

MicroBar (6)Schräge und bizarre Biere produzieren die isländischen Craft-Brauereien schon immer gern. Vor zwei Jahren braute das 2012 gegründete Brugghús Steðja für das nordgermanische Opferfest „Thorrablot“ ein 5,1-prozentiges Lagerbier mit gerösteten Walhoden, die über Schafsdung geräuchert wurden. Weltweiter Protest war den Isländern garantiert. Aber die Bier-Manufaktur nahe des Küstenstädtchens Borgarnes, kann auch anders. Der aus Düsseldorf stammende Braumeister Philipp Ewers ist zwar mit deutscher Braukunst gut vertraut, doch in Island verarbeitet er auch gern natürliche Zutaten jenseits des Reinheitsgebots in seine Biere, darunter Edelhölzer, Holunderblüten oder Seegras – ganz nach dem Geschmack seiner heimischen Konsumenten. „Die isländischen Brauereien gehen teilweise sehr unterschiedliche Wege und versuchen dabei vor allem außergewöhnliche Biere zu brauen, die der Rest der Welt so nicht kennt“, betont Ewers. Gerade seien auch auf Island überwiegend IPAs im Trend – und genau deshalb mache er als einer von wenigen Brauern eben erst mal keins.

Voll und ganz auf der Ale-Welle dagegen schwimmen die Macher von Einstök Ölgerð – und feiern damit sogar internationale Erfolge. Die Brauerei aus Akureyri im äußersten Norden der Troll-Insel, verkauft ihre Sude wie etwa das fruchtige „Arctic Pale Ale“, das röstige „Toasted Porter“ oder den kräftigen „Icelandic Doppelbock“ auch in Deutschland. Spezialität von Braumeister Baldur Karason ist ein „Icelandic White Ale“, das die nordische Interpretation eines Wit-Biers darstellt. Klassisch verfeinert er es mit Koriander, Orangenschalen und unvermälztem Hafer. Das Ergebnis: frisch, fruchtig und angenehm würzig. Karason spielt gerne mit überliefertem Wikinger-Image, was nicht zuletzt seine Etiketten mit dem Kopf eines Berserkers demonstrieren. Das waren einst grimmige Krieger, die im Met-Rausch auf den Schlachtfeldern wüteten.

Zu den angesehensten Newcomern auf der Insel zählt auch das „Bryggjan Brugghús“. Direkt am Hafen von Reykjavik setzt das junge Team auf ein Konzept aus Gasthof-Brauerei mit Live-Musik sowie einem Restaurant mit feinster Nordic-Cuisine. Braumeister Bergur konzentriert sich in erster Linie auf drei Sorten, die immer verfügbar sind: Pilsner, IPA und Pale Ale. Außerdem tüftelt er – zur Freude seiner Gäste – an saisonalen Bieren wie Double IPA, Imperial Stout oder einer sauren Gose mit Koriander und Meersalz. Hopfen kauft das Bryggjan-Team gern aus Deutschland ein. „Was unsere Biere aber so besonders macht, ist das isländische Wasser, das wohl sauberste und weichste der Welt“, schwört Braumeister Bergur.

Das sehen die Eigner der anderen Micro-Brauereien in Island genauso. Wer etwa, wie die Ölvisholt Brauerei im südwestlichen Selfoss, in der Nähe von Gletscherflüssen siedelt, für den ist die Qualität des Wassers sogar ein gewichtiges Verkaufsargument. Ihr 9,4-prozentiges Smoked Stout namens „Lava“ wartet zudem mit Röstaromen auf, die nicht nur an Schokolade, sondern auch an verglühte Vulkanlandschaften erinnern. In der gleichen Liga wie Ölvisholt spielen auch kleine Familienbrauereien wie „Segull 67“ nördlich der kleinen Fischerstadt Ólafsfjörður, die überwiegend Lagerbiere braut, oder „Kex Brewing“, die mit einem Session Ale im Portfolio namens „Thunder Ale“ punkten.

Auch sonst passiert im Inselreich inzwischen ziemlich viel in Sachen Bier. Einmal pro Jahr treffen sich Islands Hobbybrauer der wachsenden Homebrew-Szene zu einem regionalen Wettbewerb, bei dem auch schon mal ein Kölsch gewinnen konnte. Außerdem veranstalten die Nordländer in der Hauptstadt Reykjavik alljährlich ein Craft-Bierfestival, zu dem neuerdings Bier-Geeks aus aller Welt anreisen um die nordischen Spezialitäten zu probieren. In diesem Jahr fand das Spektakel bei Minustemperaturen im Wintermonat Februar statt. Für Craft-Fans aus gemäßigten Breitengraden etwas ungewöhnlich, aber: Nach reichlich Bier mit Schafsköpfen oder Walhoden spürt man auch einen eisigen Schneesturm nicht mehr.

Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin.

 

 

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