Ken Grossmann gilt als einer der wichtigsten Pioniere der weltweiten Craft-Bierszene. Mit seiner Brauerei Sierra Nevada im kalifornischen Chico, zählt die 62-Jährige Legende inzwischen zu den Giganten der Kreativszene. Mit CRAFT sprach er über die Bedeutung transatlantischer Kollaborationen, neue Biertrends und graue Wolken, die derzeit im US-Markt aufziehen.

Mr. Grossmann, sie haben gerade einen Kollaborationssud gemeinsam mit dem Brauhaus Riegele in Augsburg entwickelt. Was verspricht sich eine US-Brauerei wie Sierra Nevada von solch einer Kooperation?
Es ist nicht das erste Mal, dass wir einen transatlantischen Kollaborationssud mit Riegele brauen. Im vergangenen Jahr kamen Brauereichef Sebastian Priller und Braumeister Frank Müller nach Chico, um mit uns ein Oktoberfest-Bier zu entwickeln. Als Gegenleistung kam ich jetzt nach Augsburg um ein innovatives Session Ale für den deutschen Markt zu brauen. Sowas macht nicht nur Spaß, ich schätze auch die lange Tradition und das althergebrachte Bierwissen des Riegele-Teams. Das Ergebnis sind meist einzigartige Biere mit ausgewählten Zutaten.
Was können deutsche Craft-Brauer noch von amerikanischen Kollegen lernen?
Wir Amerikaner haben das Bierbrauen keineswegs erfunden. Es gibt aber wirklich viel, was wir voneinander lernen können. In Deutschland gibt es traditionelle Bierstile, die wir in den USA gerade wieder neu entdecken. Ich oute mich gern als Fan deutscher Traditionsbiere. Wir zeigen den deutschen Kollegen hingegen aber auch, dass alte Biersorten wiederbelebt werden können und kreativ umsetzbar sind. Gerade dafür sind grenzübergreifende Kollaborationen gut. Unser „Bayerisch Ale“, was wir jetzt in Augsburg aus der Taufe gehoben haben, vereint das Beste aus zwei Biernationen.
Viele Brauer setzten derzeit auf Session-Biere. Sehen Sie darin die Zukunft der Craft-Branche?
Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich glaube eher, dass Session-Biere ein wichtiger Teil der Branche sind. Aber ich glaube, wir sollten uns bei der Wahl der Stile nicht zu sehr eingrenzen. Es ist genügend Platz für viele andere Sorten – egal ob hopfig oder malzig, sie sollten auf jeden Fall einzigartig sein. Allerdings beobachte ich, dass gerade in den USA hocharomatische und gut gehopft Biere, die jedoch über mäßigen Alkoholgehalt und einer eher dezenten Bittere verfügen, zunehmend an Beliebtheit gewinnen. Nach den vielen Alkohol-Granaten in der Craft-Szene zeichnet sich hier vielleicht ein neuer Trend ab.

Inzwischen werden fast in der ganzen Welt neue Craft-Biere kreiert. Welchen Stellenwert haben da eigentlich noch die US-Brauer?
Die amerikanischen Brauer haben in den vergangenen Jahren ganz entscheidend dazu beigetragen, dass die weltweite Bierszene nach langem Dämmerschlaf wieder aufgeweckt ist. Mit der Interpretation alter Bierstile haben wir gezeigt, was geschmacklich alles mit Hopfen und Malz möglich ist. An diesem Vorsprung dürfte sich so schnell wohl kaum etwas verändern. Ich persönlich bin aber auch sehr froh darüber, dass sich beispielsweise traditionelle Lagerbiere derzeit so gut entwickeln. In modernen Interpretation, etwa mit neuen Hopfenkombinationen, werden derzeit viele neue Lager auf den Markt geworfen, die sich auch bestens für einen langen Abend im Biergarten eignen.
Böse Zungen behaupten, India Pale Ales wären in den USA inzwischen tot.
Ganz klar: Nein! Das ist völliger Quatsch, der zum Teil von der traditionellen Bierindustrie in die Welt gesetzt wird. Nach der steilen Entwicklung der Craft-Bierbranche in den vergangenen Jahren, sehen die alten Marktgiganten, dass inzwischen zunehmend ihre Felle wegschwimmen.
Immerhin gibt es schon Gegenreaktionen: Einige der amerikanischen Großbrauereien kaufen eifrig kleine Craft-Wettbewerber auf oder beteiligen sich an aufstrebenden Newcomern…
Diesen Trend beobachte ich nicht nur in den USA, sondern weltweit. Und ich denke, dass ist definitiv nicht gut für die Craft-Bierbranche. Schließlich gerät alles wieder in die Hände der Traditionalisten. Wir müssen abwarten, was diese Bewegung am Ende bringt. Aber ich hoffe, dass durch die vielen Übernahmen nicht irgendwann die Kreativität stirbt. Klar aber ist: Das Geschäft wird härter.

Nachdem in den USA derzeit rund 4300 Brauereien schon um jeden Kunden kämpfen gehen Analysten bereits von einer Marktbereinigung in der Craft-Bierszene aus.
Es steckt noch immer ganz schön viel Dynamik in unserem Biermarkt. Pro Tag eröffnen zwei neue Brauereien, meist lokale Biermanufakturen die den Konsumenten rund um den Kirchturm bedienen. Als ich damals in Chico angefangen habe, gab es im ganzen Land nur 45 Brauereien. Aber selbst bei der heutigen Vielzahl an Braustätten glaube ich nicht, dass es so schnell eine Marktbereinigung geben wird. Sicher ist aber, dass nicht jede Brauerei in der Lage ist zu überleben. Ein guter Craft-Brauer steht vor einer permanenten Herausforderung, der nicht jeder gewachsen ist. Nach vielen abenteuerlichen Suden hat sich eins klar herauskristallisiert: Qualität ist das allerwichtigste Merkmal in der Craft-Bierbranche geworden.
Aktuelle Zahlen belegen, dass sich das Marktwachstum in den USA nach jahrelangen zweistelligen Zuwächsen etwas abgeschwächt hat.
Das ist doch ein ganz normaler Prozess, der sich auch in allen anderen Märkten irgendwann abgespielt hat. Nach einer langen und rasanten Wachstumsphase tritt früher oder später eben ein wenig Konsolidierung ein. Nach jahrelangem Wachstum beginnt dann ein Stabilisierungsprozess, der die Spreu vom Weizen trennt. Ganz klar, kein Markt kann jahrzehntelang per Anno um zwanzig Prozent wachsen. Das gibt es nicht.
Und was passiert in einer solchen Phase mit den Bierpreisen?
Manche Brauer betreiben inzwischen wilde Preisspielchen als Marketingstrategie. Das ist nicht gesund. Aber ich hoffe, dass der Wert von Craft-Bier weiterhin stabil bleibt. Denn Tatsache ist: Handwerk, gute Rohstoffe und kreative Bierstile kosten nun mal mehr, als die Produktion von einem Massensud der industriellen Brauriesen. Dafür garantieren wir Geschmackserlebnisse, die er bei einem Billigbier vom Discounter nicht bekommt.
Ab Dezember ändern sich auch die rechtlichen Bedingungen für amerikanische Brauereien. Künftig soll der Nährstoffgehalt eines jeden Bieres aufs Etikett. Das führt zu hohen Analyseaufwendungen, die ein kleiner Produzent kaum stemmen kann. Werden durch dieses neue Gesetz viele Biere vom Markt verschwinden?
Nein, das glaube ich nicht. Vielleicht wird es für die ein oder andere Microbrewery zum Problem, die eine Übermenge an Biersorten in den Handel wirft. Vielleicht wird der ein oder andere Sud auch ein wenig teurer. Für einen guten Brauer, mit einer funktionierenden Marke und starken Produkten, wird das Business aber auch in Zukunft weiterhin gut laufen.
Welche Rolle spielen solche Elefanten-Fusionen wie etwa die von Anheuser-Busch und SAB Miller für kleinere Craft-Brauer?
Der Wettbewerb wächst und diese Fusion wird zu markanten Veränderungen im Zugang zu den Regalen von Großhändlern und Supermärkten führen. Die Großbrauer dominieren noch immer die großen Handelsketten und spielen dort gern ihre Macht gegen kleine Wettbewerber aus. Je mehr Marktanteile sie haben, umso mehr können sie die Vertriebskanäle kontrollieren. So wird auch kräftig Druck auf die Händler gemacht. Einige Craft-Brauer haben deshalb bereits große Sorgen, weiterhin ihre Biere wie bisher an den Konsumenten bringen zu können.
Sie sind mit Sierra Nevada einer der Pioniere der US-Szene. Mit 300 Mio. verkaufter Flaschen im vergangenen Jahr und rund 500 Mitarbeitern gehören Sie im internationalen Maßstab aber selbst eigentlich schon zu den Riesen. Verstehen Sie sich eigentlich noch als echter Craft-Brauer?
Auf jeden Fall! Im Vergleich zu den amerikanischen Industriebrauern sind wir immer noch eine ziemlich kleine Nummer. Unsere Leidenschaft ist nach wie vor das Brauen sowie die Qualität und die Individualität der Biere. Und das schon seit 30 Jahren. Auch wenn wir weiter so stürmisch wachsen, wird diese Philosophie immer in unseren Köpfen bleiben. Wir von Sierra Nevada haben das Ziel, einfach nur wunderbare Biere für unsere Konsumenten zu brauen.
Erschienen im MEININGERS CRAFT – MAGAZIN FÜR BIERKULTUR.
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Elefanten-Fusionen wie etwa die von Anheuser-Busch und SAB Miller … machten Pilsner Urquell zum Aufgeilen der Aktionäre bei meinem Dealer um 2,25€ teurer. So kann man gutes Bier zur Aktionärsplörre machen. Was BIT ja mit KöPi schon machte. Die Bastelbrauer- auch Craft- Dingens genannt, gehen eh zu sehr an die Börse- also an meine- als die dass der DAX die juckte. Also, in der Form, in der z.B. Schalke 04 zur Zeit sich präsentiert… ein Erfolg für die Lohnräuber Veltins. Aber Schalker würden das auch bei Erfolg saufen. Crafties… es geht nicht um Stil oder Fashion… WIRKUNG!
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