Flaschenreifung: Kompliziertes Leben in der Flasche

Einzigartige Aromen und edle Perlage: Um ihre Biere zu veredeln und länger haltbar zu machen, setzten erfahrene Craft-Brauer auf die Methode der Flaschenreifung. Vorbild ist neben belgischer Bierkultur auch die Art der Champagner-Reifung.

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Free-Photos Pixabay

Belgien und Frankreich gelten in vielerlei Hinsicht als Genuss-Länder schlechthin. So wundert es kaum, dass die belgische Bierkultur, wie auch die traditionelle französische Champagner-Herstellung aktuell als Inspirationsquelle für die internationale Brauerelite gelten – vor allem wenn es sich um aufwendige Flaschenreifung mit besonderen Hefen und speziellen Reifeverfahren handelt. Beim richtigen Einsatz feiner Mikroorganismen und korrekter Lagerung lassen sich Sude mit eleganter Karbonisierung und einzigartigen Aromen erzielen. An diesem Muster orientiert sich auch Markus Berberich, Gründer und Chef der Inselbrauerei auf Rügen. Als Biersommelier habe er immer wieder erlebt, dass manche Biere anfangs perfekt munden, aber später durch Logistik und Transport oxidieren und ihren ursprünglichen Geschmack verlieren. „Weil wir dies bei unseren Bieren verhindern wollen“, sagt der Inselbrauerei-Chef, „setzen wir konsequent auf Flaschenreifung.“

Inspirieren lässt sich Markus Berberich so wie auch andere Craft-Brauer rund um den Globus zunehmend von den Belgiern. Schon seit jeher setzen die Bierproduzenten dort auf zusätzliche Gärungsprozesse in der Flasche. Spontanvergorene Sude und Trappistenbiere werden von belgischen Brauereien gern auch monate- oder jahrelang eingelagert, um durch den Reifeprozess einzigartige Aromen sowie eine besondere Perlage zu erzielen. Das klingt simpel, ist aber eine komplizierte Wissenschaft. Dabei ist wichtig, welche Mikroorganismen wann und wie hinzugegeben werden müssen und wie lange die Flasche bei welchen Temperaturen gelagert wurde. Solche Bierspezialitäten verändern Textur und Geschmack von Jahr zu Jahr und überraschen mit immer neuen Aromen. Raritäten wie beispielsweise die langjährig gereifte Geuze der Brüsseler Cantillon-Brauerei, das „Deus Brut Des Flanders“ von der Brouwerij Bosteels oder ein „Kasteel Cuvée de Chateau“ der Brouwerij Van Honsebrouck beachtliche Preisentwicklungen. Unter echten Bierfans haben diese Biere bereits Kultcharakter.

Kein Wunder also, dass inzwischen auch hierzulande immer mehr Kreativbrauer auf bewusste Flaschenreifung setzen. Als einer der Vorreiter in der deutschen Craft-Szene hat sich die Inselbrauerei etabliert. In den heiligen Hallen des Rügener Küstenortes Rambin entwickelten Markus Berberich und sein Team ein eigenes Verfahren, bei dem sie unter anderem mit aufwendig gezählten Hefezellen arbeiten. Jedem Bier geben die Brauer zwei Hefe-Arten hinzu, die für Charakter und Aroma sorgen. Das kann Champagner-, Abtei- oder Ale-Hefe sein, die mittels Separation vom Jungbier entfernt wird. Anschließend kommen neben einer Zucker-Dosage noch weitere Hefezellen in die Flasche. Für besseren Lichtschutz, werden diese noch mit einem schickem Papierkleid umwickelt.

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Credit: Ben Fuchs

Hinter diesen Bieren stehen komplizierte Verfahren: Berberich und seine Braumannschaft verwenden Traubenzucker um die Hefe zu füttern, denn nur so würden keine unvergärbaren Kohlenhydrate ins Bier kommen. Die Traubenzucker-Dosage vergärt während der Reifung komplett in der Flasche. So bekommt das Bier einen sehr trockenen, weichen und eleganten Geschmack. Für eine sauerstofffreie Abfüllung werden die Flaschen mit CO2 doppelt vorevakuiert. Das bereits leicht karbonisierte Jungbier schäumt dann beim Abfüllen über und verhindert Oxidation. Anschließend durchläuft es bei 25 Grad die ersten Tage der Reifung. Dieser Prozess veredelt das Aroma und erzeugt eine feine – champagnerartige – Perlage. „Die Flaschenreifung ist eine traditionelle, aber keineswegs triviale Methode, die immer aufs Neue ein feines Austarieren verschiedener Parameter erfordert“, betont Markus Berberich.

Das können die Freisinger Brauer des prämierten Champagner-Bieres „Cerevisium“ nur bestätigen. Um ihrer Kreation neue Geschmacksdimensionen zu verleihen, veredeln die drei Absolventen der Hochschule Weihenstephan – Donatus Duran Perez, Stefan Hör und Daniel Martin – ihr Bier ganz nach dem Vorbild traditioneller Schaumweine. Erst wird das Bier nach einem speziellen Sudhausverfahren eingebraut, bei dem die Freisinger angeblich fast 20 Stunden an einer ausgetüftelten Würze-Zusammensetzung arbeiten, die den Hefen ermöglicht, individuelle Aromen zu erzeugen. Zu einem genau definierten Zeitpunkt geben die Cerevisium-Macher anschließend eine Sekt-Hefe aus der Champagne in den Sud. Ihr Schampus-Bier reift nun mehr als ein halbes Jahr in der Flasche, bevor diese kopfüber in Rüttelpulte gestellt wird.

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Credit: Cerevisium

Hier müssen die Macher dann jeden Tag ran und die Flaschen mehrere Wochen lang drehen und rütteln. Bei diesem Prozess sinkt die Hefe in den Flaschenhals, bis dann „degorgiert“ wird. Das heißt: Der Flaschenhals wird eingefroren, geöffnet und der Hefepfropfen durch Innendruck herausgeschossen – genauso wie bei der Schaumweinherstellung. Diese Methode nutzt das Team auch zur natürlichen Klärung des Bieres. Ganz natürlich wandeln sich bei der langen Reifezeit auch Aroma und Mundgefühl. „Die Reifung beeinflusst sämtliche Gleichgewichte im Bier, so dass jahrelang immer wieder Aromaveränderungen auftreten“, sagt Cerevisium-Teilhaber Perez. Vor allem in den ersten neun Monaten sei dies am deutlichsten zu schmecken. Daher geben die Brauer ihr 10,3-prozentiges Endprodukt erst danach in den Verkauf.

Nicht nur die Freisinger Jung-Crafter arbeiten nach der Champagner-Methode. Auch Thomas Kipka, Diplombraumeister und Geschäftsführer der Westindien Compagnie Seehandelsgesellschaft mbH in Flensburg, der schon für die Königshäuser von Norwegen und Dänemark braute, lässt seine Bierspezialität namens „Sylter Hopfen“ in der Flasche mit Spezialhefe ein zweites Mal fermentieren. Nach einer mehrwöchigen Reifezeit rüttelt und degorgiert er den Sud um das gewünschte Resultat zu erzielen: Ein 7,1-prozentiges, feinprickelndes Bier mit aromatischer Hopfenblume und leichter Säure.

Ein anderes Konzept verfolgt Ulrike Genz von der Berliner Braustätte Schneeeule ab. Sie hat sich auf Berliner Weiße spezialisiert und nutzt für ihre Biere wilde Brettanomyces-Hefe, die ursprünglich aus Belgien stammt. Während die typischen „Brett“-Noten wie Pferdedecke oder nasses Leder im Weinbereich als katastrophaler Fehler gelten, setzen Brauer diese Hefe vor allem bei belgischen Lambics oder eben bei Berliner Weiße ein. Die Mikroorganismen arbeiten hier sehr langsam, haben aber meist auch eine sehr lange Lebensdauer. Genz will, dass ihre Konsumenten die Flaschenreifung live miterleben. Daher gibt sie ihre Sorten bereits nach einem Monat in den Verkauf. Aber erst ab einem halben Jahr sei die Weiße gut ausgegoren und entwickele sich immer komplexer. Der Reifeprozess würde dann noch rund ein Jahr dauern, sagt die Berlinerin: „Gleichbleibende Qualität gibt es bei meinen Bieren nicht, weil sie sich ständig verändern. Aber so ist jede Flasche ein kleines Ökosystem.“

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Credit: Branta Brauerei

Auch Carsten Jepsen von der Branta Brauerei im nordfriesischen Emmelsbüll-Horsbüll verwendet gern wilde Hefen für die Flaschengärung seiner Sorten. Im Portfolio führt der Nordfriese etwa ein fruchtiges, leicht saures „Wild Ale“ und eine 4-prozentige „Saure Weiße“, die beide mit hauseigener Brettanomyces-Hefe vergoren werden. Der Einfluss der Flaschengärung auf die Aromatik beginnt laut Jepsen schon direkt nach der Abfüllung. Dabei dauert die Karbonisierung etwa eine Woche, danach würde die Hefe langsam inaktiver werden und die Reifung beginnen. Solche Sude verlangen viel Know-how.

Je nach Art der Abfüllung kann der Sauerstoffgehalt im Bier trotz aktiver Hefe zu hoch sein, dadurch der Sud oxidieren und Alterungsaromen erzeugen. Vor allem der Geschmack von stark gehopften Bieren, kann dann manchmal sogar an nassen Pappkarton oder Katzenurin erinnern. Aber es soll schließlich auch charakterstarke Craft-Genießer geben, die vor solchen Aroma-Abenteuern nicht zurückschrecken.

Tabelle:

Bierstil Volumenprozent Alkohol Lagerfähigkeit in Jahren
Heller Bock 6,5-8,0 1-3
Dubbel 6,5-7,5 1-3
Weizenbock 6,5-8,5 1-3
Doppelbock 7,5-9,0 2-3
Tripel 7,5-9,5 1-4
Imperial Ales 7,5-10,0 1-7
Strong Ales 8,5-11,0 2-12
Eisbock und Barley Wine 8,5-12,0 3-20
Imperial Stout 8,5-12,0 3-20
Ultra Strong Ales 16,0-26,0 5-100

Quelle: Doemens

Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.

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