Garagen werden ausgeräumt, Waschküchen umfunktioniert und teures Equipment angeschafft: Im Windschatten namhafter Craft-Marken entwickelt sich derzeit bundesweit eine boomende Heimbrauer-Szene mit eigenen Online-Foren, Festivals und Wettbewerben.
Manchmal kommt es ganz anders als gedacht. So war das auch bei Alexander Lebèus aus Esslingen bei Stuttgart, der eigentlich hobbymäßig Whisky herstellen wollte. Der 40-jährige Schwabe bastelte sich ohne jegliche Erfahrung eine kleine Anlage zur Maische-Herstellung zusammen und startete die ersten Versuche. Nach ersten Experimenten verabschiedete er sich von seinem Whisky-Vorhaben und braute seinen ersten Gerstensaft. In einem Homebrew-Buch fand der umtriebige Schwabe schließlich ein Altbier-Rezept. Das Ergebnis war zwar Bier, aber von gängigen Geschmacksmustern ziemlich weit entfernt, erinnert sich Lebèus. Doch jeder Fehlversuch steigerte seinen Ehrgeiz. „Plötzlich war ich regelrecht vom Bierfieber befallen“, sagt der ehrgeizige Hausbrauer. Das war vor rund sechs Jahren. Whisky hat er bis heute nicht gebrannt, seine ganze Liebe gehört jetzt dem eigenen Bier.
Ähnlich wie bei Alexander Lebèus begannen auch die Karrieren vieler renommierter Kreativbrauer am heimischen Sudkessel. Als vor rund 30 Jahren die Hobbybrauer-Szene in den USA entstand, war das der Startschuss für den weltweiten Siegeszug der kommerziellen Craft-Bierbewegung. Junge Leute wollten nicht mehr länger Standardbiere wie Budweiser, Miller & Co. trinken und begannen mit simplen Kochtöpfen oder Einmachkesseln ihre eigenen, ganz individuellen Sude zu rühren. Aus solchen Anfängen entstanden im Laufe der Jahre so renommierte Brauhäuser wie Sierra Nevada, Stone Brewing oder Firestone Walker.
Nachdem deutsche Biertrinker auf den neuen Craft-Geschmack gekommen sind, ist auch hierzulande das Homebrew-Fieber ausgebrochen. Wie viele Hausbrauer es allerdings in Deutschland gibt, weiß niemand so genau. Eine Ahnung von den Dimensionen der hiesigen Do-it-Yourself-Gemeinde gibt allenfalls ein Blick in den sozialen Online-Kosmos. Allein das bekannte Internetforum „hobbybrauer.de“ verzeichnet inzwischen mehr als 8500 Mitglieder – Tendenz steigend. Dort tauschen User ihre Erfahrungen aus, geben sich Brau-Tipps oder veröffentlichen ihre Rezepte zum Nachkochen. Auf YouTube finden sich zudem unzählige praktische Anleitungen für den hauseigenen Sud. Und auch die wachsende Anzahl kreativer Braukurse ist meist schon lange im Voraus ausgebucht.

Auch spezialisierte Online-Shops verkaufen so viel Rohstoffe und Equipment wie nie zuvor. Mittlerweile existieren zahlreiche Varianten zur hauseigenen Bierproduktion. Der Hobby-Braumeister kann wählen zwischen schlanken Brau-Sets wie etwa das „Braufässchen“, Baukasten-Systeme wie „Das Bier“ oder das Kit von „Dein Brauwerk“, mit stark vereinfachter Prozesstechnik. Für fortgeschrittene Heimbrauer bietet sich eine ungeheure Vielfalt größerer Systeme an, die vom kleinen 30-Liter-Einkocher bis hin zum professionellen Kessel mit Elektroniksteuerung reicht. Am bekanntesten sind in diesem Umfeld die Marken Speidel, „Hopfensau“ und „Braueule“ sowie die Rundum-Ausrüstung von „Brewpaganda“. Eine eher ungewöhnliche Option bietet indes die Firma Sudkraft aus St. Peter in der Steiermark, deren Chef Georg Moser mit seiner „Hopfensau“ aus konventionellen Betonmischmaschinen schicke Dampfbrauereien für 50-Liter-Sude konstruiert.
Tatsache ist, dass sich durch die wachsende Anzahl an Hobbybrauern auch ein neuer Markt für kleine, aber schon hochprofessionelle Brauanlagen entwickelt. Dieser Trend zeichnet sich auch bereits bei den großen Branchenmessen ab: Auf der internationalen Getränkemesse „drinktec“ im Herbst 2017 in München fanden Nachwuchsbrauer bereits ein wahres Dorado an neuem Brau-Equipment, Rohstoffen und Service-Angeboten. Und auch auf der kommenden BrauBeviale im November in Nürnberg wird es erstmals auch einen „brau@home“-Pavillon geben, bei dem sich die Szene zum Austausch treffen kann. Wer hier einmal Blut geleckt hat, für den ist der Weg klar skizziert: Aus Hobbybrauern werden Microbrewer und am Ende steht die eigene Bier-Manufaktur.
Junge Hopfenzauberer wie Alexander Lebèus sind schon ein Stück dieses Weges gegangen. Als Gypsy-Brauer produzierte er unter der Marke „Archer’s Brewing“ zeitweilig spannende Pale Ales, Rotbier, Stout und Witbier und brachte die Sorten sogar in den Handel. Aber das ganze Profi-Spektrum – angefangen vom aufwendigen Brauprozess über Marketing und Finanzierung bis hin zum Vertrieb – führte schon bald zur Ernüchterung. Daher stellte er den kommerziellen Verkauf wieder ein. „Aber das Brauen als Hobby gebe ich niemals auf“, verspricht Lebèus, „das macht einfach viel zu viel Spaß“. Für ihn ist heute auch der Austausch mit Gleichgesinnten ein wichtiger Akt beim Homebrew. So gründete Lebèus 2016 mit 19 weiteren Freizeitbrauern aus seiner Region den Stuttgarter Kesselbrauer Verein, der inzwischen 39 Mitglieder zählt, die sich regelmäßig treffen um gemeinsam im Kessel rühren und zudem Biertouren und Degustationen organisieren.
So einen Zusammenschluss gibt es seit mehr als zwei Jahren auch in der Bundeshauptstadt. Die „Braufreunde Berlin“ gründeten ihren Verein um ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der Welt der Bierherstellung mit Gleichgesinnten zu teilen, sich regelmäßig über neue Biersorten auszutauschen und ihre Erfahrungen über soziale Netze zu kommunizieren. Inzwischen betreiben sie sogar einen eigenen Online-Shop, in dem T-Shirts, Kappen, Sticker und „Männer-Lätzchen“ angeboten werden. Einer der ersten Mitglieder war Florian Bachri. Während eines Braukurses stellt er fest, dass er das benötigte Equipment eigentlich bereits schon zuhause hat. Damit produzierte er sein erstes India Pale Ale, das er anfangs noch durch eine Stoffwindel läuterte. „Ich entwickelte mich bei jedem Sud weiter“, sagt Bachri, „wenn man viel liest und immer auf Hygiene achtet, kann eigentlich nichts schiefgehen“. Inzwischen hat er unter der Marke „Eumelbräu“ ein kommerzielles Ale für einen Stadtbiergarten gebraut.
Wie populär Hobbybrauen inzwischen ist, zeigt inzwischen auch die wachsende Anzahl nationaler wie auch internationale Veranstaltungen und Wettbewerbe. Einmal im Jahr richtet beispielsweise die Camba Bavaria – eine der größten Craft-Brauereien in Deutschland – in ihrer „Old Factory“ in Gundelfingen einen Bier-Contest mit begleitenden Hobbybrauer-Festivals aus, bei dem rund 50 Freizeit-Brauer ihre Biere ausschenken. Eine hochkarätige Jury probiert sich dann durch mehr als 100 verschiedene Hopfensäfte um schließlich die Sieger zu küren. Das Camba-Fest entwickelte sich zu einem wahren Paradies für echte Bier-Geeks, denn die manchmal sehr eigenwilligen Kreationen, die es so wahrscheinlich niemals in die Regale schaffen würden, gibt es nur dort zu verkosten.
Einer der experimentierfreudigsten Teilnehmer des Gundelfinger Wettbewerbs ist Helmut Weber aus dem bayerischen Rohrbach. Eine seiner Rezepturen ist sogar mit Brennnesseln angesetzt. Zu seinen besten Suden zählt er jedoch sein fruchtiges „Comet IPA“, das er auch dieses Jahr wieder auf dem Hobbybrauer-Festival ausschenken will. Warum Weber das alles macht? „Egal was ich braue“, resümiert er, „es ist immer eine perfekte Entspannung zu meinem stressigen Job.“
Falls es Weber diesjährig nicht gelingt, einen Award aus Gundelfingen abzuräumen, will er es vielleicht mal an der Ostseeküste versuchen. Seit vergangenem Jahr hat sich auch dort in Stralsund ein Festival mit deutscher Meisterschaft der Hobbybrauer etabliert. Initiator ist die Störtebeker Braumanufaktur. Schon bei der Auftaktveranstaltung 2017 präsentierten rund 80 Freizeitbrauer aus 13 Bundesländern ihre hausgebrauten Kreationen. Als Wettbewerbssud mussten sie Im Vorfeld ein helles Bockbier einreichen. Eine Expertenjury verkostete die Sude blind und wählte Nico Leffler aus Hessen zum Sieger, der seinen Bock ganz unkonventionell mit den Hopfensorten Hüll Melon und El Dorado ansetzte. Als Gewinner durfte Leffler sein Bier auf der Störtebeker-Anlage im großen Stil brauen.
Ende September geht es in Stralsund in die nächste Runde. Mehr als 1000 Hobbybrauer stimmten online bereits über den diesjährigen Bierstil ab. Ins Rennen gehen im Herbst kreative Witbier-Interpretationen. Nico Leffler, der sich schon ein Rezept ausgedacht hat, freut sich schon: „Den Titel will ich dieses Jahr auf jeden Fall verteidigen.“
Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.