Fassgereifte Biere scheinen in diesem Jahr so beliebt zu sein, wie noch nie zuvor. Gerade erst stellte auch die Ratsherrn Brauerei aus Hamburg eine solche Spezialität in die Regale. Dabei geht es aber nicht um ein Imperial Stout, sondern um ein in Barrique-Gebinden spontanvergorenes „Sour Barrel Aged Belgian White Ale“. Das Hanseaten-Team ließ für diese Version ihr „Moby Wit“ fast drei Jahre in Madeira- und Bordeaux-Fässern schlummern.
Das Ergebnis heißt „Ahab’s Revenge“, besitzt 5,8 Prozent Alkohol und schwimmt in einem trüben Goldorange-Ton im Glas. In diese Nasen strömt ein frischer Duft von Joghurt und Vanille mit einem ergänzend hefigem, holzigem sowie fruchtigem Charakter. Auf der Zunge präsentiert sich das fassgereifte Bier cremig-weich mit einer moderaten Säure und einem weinigen Anklang. Dazu gesellen sich mostige Fruchtnoten, die an Birne erinnern, sowie Aromen von Joghurt und Vanille. Im Finish bleibt eine gewisse Würzigkeit noch lange am Gaumen zurück.
Fazit: Dieses Bier ist wirklich eine Verkostung wert. So eine fassgereifte Variation habe ich bisher selten im Glas gehabt und muss sagen: ich bin begeistert. Das Aromaspiel ist komplex, aber schön harmonisch und keinesfalls zu sauer. Bietet sich auch als schmackhafter und frischer Aperitif an.
Sauerbiere gelten immer noch als der heißeste Trend in diesem Sommer. Kein Wunder, sie sind meist fruchtig-prickelnd und durch ihre Säure absolut erfrischend. Eines der besten sauren hiesigen Vertreter ist für mich das Maracuja-Sauer namens „Fränk“ von der Flügge Brauerei aus Frankfurt. Das sonnengelbe Bier besitzt nur schlanke 3,5 Prozent Alkohol und haut einen bei den warmen Temperaturen nicht gleich um. Gebraut haben es Dominik Pietsch und Joachim Amrhein mit drei Malzen, Mosaic- und Columbus-Hopfen sowie mit spezieller Kveik-Hefe aus Norwegen. Als Finish lagerte das Flügge-Team den Sud noch auf Maracuja-Püree.
Kaum schwimmt das Bier im Glas, schon strömen attraktive Fruchtnoten in die Nase. Der dominierende Maracuja-Ton wird unterstützt von einem Touch Grapefruit und einer sanften Malzigkeit. Auf der Zunge präsentiert sich „Fränk“ prickelnd-frisch und keineswegs fad. Auch im Geschmack triumphiert die tropische Maracujafrucht. Das Püree und der Mosaic-Hopfen gehen dabei eine gelungene Symbiose ein. Die deutlich spürbare Säure erfrischt und macht das Bier höchst lebendig. So verabschiedet sich das Sauer-Ale mit einem langen, harmonischen Nachhall.
Fazit: Ein wirklich irrer Drink. Für mich ist „Fränk“ mit seinen frischen, fruchtigen und sauren Charakterzügen eines der absoluten Top-Sommerbiere in diesem Jahr. Mehr gibt es dazu gar nicht zu sagen. Sollte man unbedingt mal probiert haben, bevor die kalten Herbststürme über das Land fegen. Und: das Frankfurter Sauerbier überzeugt sicher nicht nur Craft-Geeks – sogar meine Freundinnen, die eigentlich kein Bier mögen, waren ab dem ersten Schluck begeistert.
Kennen gelernt habe ich die Flügge Brauerei aus Frankfurt am Main auf dem Craft-Bierfest im April in Stuttgart. Das war wohl auch einer der ersten öffentlichen Auftritte von Dominik Pietsch und seinem Kumpel Joachim – und eine tolle Entdeckung für mich. Eine neue Marke mit neuen spannenden Bieren. Dabei schrieben sich die Flügge-Macher auf die Fahnen, wilde und charakterstarke Sude zu brauen, die gern auch mal das Reinheitsgebot hinter sich lassen. So gilt als echter Sommertipp etwa „Fränk“, ein 3,2-prozentiges Sauerbier, vergoren mit norwegischer Hefe und anschließend auf Maracuja-Püree gelagert. Mit im Portfolio haben die Frankfurter auch Roggenbier, Imperial Stout und ein IPA, das mit 100 Prozent Brettanomyces-Hefe vergoren ist. Wer sich wundert, warum verschiedene Vögel auf den Etiketten prangen: Die Flügge-Macher sind bekennende Vogelfans.
Dominik Pietsch beatwortete die Fragen:
Welche Eigenschaften zeichnen Deiner Meinung nach einen richtig guten Craft-Brauer aus?
Eine große Portion Neugier, die Fähigkeit, über den Tellerrand (bzw. das Reinheitsgebot) zu schauen und einfach leckere, ausgewogene und handwerklich gut gemachte Biere zu brauen.
Was macht für Dich ein wirklich außergewöhnliches Bier aus?
Man trinkt sich als Bier-Nerd durch allerlei Sorten, und die haben auch alle ihren Charme und ihre Daseinsberechtigung. Aber ab und zu bleibt man regelrecht an einem Bier hängen und man wünscht sich, dass das Glas nie leer wird – entweder, weil es so gut runtergeht oder weil es einfach so wahnsinnig toll und neu schmeckt, dass man immer weiter trinken will. So einen Trunk würde ich dann als außergewöhnlich bezeichnen.
Was war das schrägste Bier, das Du jemals getrunken hast?
Schwierig, sich da auf das schrägste Bier zu beschränken. Ein Bier, was mir zuletzt als besonders schräg in Erinnerung geblieben ist, war das „Grie Soß“ von Glaabsbräu. Man denkt erst, das kann doch nicht funktionieren, dass man Kräuter der in Hessen bekannten Grünen Soße ins Bier zu bringen kann. Aber: es funktioniert!
Mit welchen ungewöhnlichen Zutaten würdest Du gern einmal brauen?
Hmm… also, sobald mir etwas Ungewöhnliches einfällt, probiere ich es immer erst auf unserer kleinen Brauanlage aus. Nicht wirklich ungewöhnlich, aber bei uns schwierig zu beschaffen sind z.B. englische Malze.
Was ist eigentlich Dein Lieblingsgericht und was trinkst Du dazu?
Jetzt gerade: Spargel, klassisch mit Kartoffeln und Sauce Hollandaise, dazu ein selbstgebrautes, leichtes Saison mit ca. 3,5 Prozent Alkohol. Das passt super.
Wie siehst Du die Entwicklung der Craft-Bierszene in fünf Jahren?
Das ist schwer abzuschätzen. Die aktuelle Entwicklung ist ja sehr positiv. Es kommen immer wieder neue, spannende Brauereien hinzu und mittlerweile arbeiten viele auch mit Brett-Hefen oder Lactos, was ich sehr begrüße. Bleibt nur zu hoffen, dass die Entwicklung und die Neugier in Deutschland nach neuen Geschmäckern anhalten. Ich bin da aber sehr optimistisch.
Und was hast Du als nächstes vor?
Wir haben gerade einen spannenden Sud zusammen mit dem Winzer Daniel Mattern angesetzt. Das Thema Bier/Wein-Hybrid interessiert mich schon lange, mal sehen, was draus wird – die Zwickl-Proben aus den Tanks sind schon richtig lecker! Außerdem würde ich mich gerne ans Thema „Fassreifung“ heranwagen. Und da wir als Brauerei ja noch nicht so lange existieren, wollen wir einfach erst mal so weitermachen und schauen, dass wir noch viele Menschen für unsere Biere begeistern können.
Dieses Mal kommt mein Craft-Bier des Monats nicht aus Deutschland, sondern vom anderen Ende der Welt. „Alter Ego“ heißt das wahrscheinlich beste Bier, das ich auf meiner Brasilien-Reise im März probieren konnte. Dabei handelt es sich um einen Kollaborationssud von zwei offensichtlich tierfreundlichen Brauereien aus Rio de Janeiro: Rock Bird Craft Brewing und W*Kattz. Ihren Sud bezeichnen die Macher der Craft-Stätten als Double New England Sour Juicy, dem sie gleich mal ordentliche 9,3 Prozent Alkohol schenkten. Entdeckt habe ich das Sauerbier übrigens nach einer Tour auf den Zuckerhut von Rio de Janeiro in „As Melhores Cervejas do Mundo“, ein Craft-Biershop mit angeschlossener Bar.
Im Glas erinnert die trübe, blutorangene Farbe fast an einen brasilianischen Sonnenuntergang. Schon beim Öffnen der Dose schießen fruchtig-tropische Aromen in die Nase. Verwöhnt wird man dann mit Noten von Maracuja, Pampelmuse, Grapefruit und reifer Blutorange. Im Antrunk präsentiert sich das Bier zunächst wie ein prickelnder Fruchtnektar, bis sich dann eine angenehme und erfrischende Säure entwickelt. Der Geschmack erinnert an einen Tropencocktail aus Maracuja, Papaya und Pampelmuse. Dazu gesellt sich noch ein Hauch von reifer Reneklode. Im Finish zeigt der Hopfen dann noch seine herbe Seite. Das Ale verabschiedet sich mit knackigen 60 Bittereinheiten.
Fazit: Wow, das „Alter Ego“ – schön kalt serviert – ist das perfekte Bier für den Sommer. Die Säure harmonisiert hervorragend mit den tropischen Fruchtaromen des Hopfens und macht das Sour zu einem hocharomatischen Erfrischungshammer. Und dass, obwohl es fast zehn Umdrehungen vorweist. Die merkt man allerdings erst nachdem ersten Glas. Ich würde mir wünschen, dass man dieses Bier vielleicht auch irgendwann in unseren Shops kaufen kann…
Berliner Weiße, spritzige Gose oder wildsaure Hefe-Kreationen: Bierfans greifen immer häufiger zu Sauerbieren, die vor der Craft-Bewegung fast ausgestorben waren. Sie schätzen den Charakter-Drink als Aperitif, Speisenbegleiter oder frischen Trunk für zwischendurch.Weiterlesen „Renaissance der sauren Spezialitäten“→
Ja, ich liebe Überraschungen und sinnvolle Urlaubsmitbringsel. Im August war meine Schwester mit ihrem Freund im Baltikum unterwegs. Beide stehen total auf Craft-Bier. Daher tingelten Elena und Eisi durch die coolsten Bars der Gegend und schauten sich einige Brauereien an. Man sollte es nicht glauben, aber im Baltikum ist in Sachen Craft-Bier richtig was los. Zugegeben war ich ganz schön neidisch. Immer hin brachten die Reisenden mir ein paar baltische Kostproben mit. Zwei aus der estnischen Tanker Brewery gefielen mir am besten: Das Session Pale Ale „Craft FM“ und das Sour Ale „Red Rain“.
Tanker zählt zu den angesagtesten Brauereien im Baltikum. Die beiden Gründer Jaanis Tammela und Ryan Suske waren einst klassische Homebrewer. Doch 2015 starteten die beiden mit größerer Produktion in ihrer eigenen Biermanufaktur so richtig durch. Innerhalb von nur zwei Jahren kreierten die Tanker-Chefs schon mehr als 60 verschiedene Sorten wie etwa auch Rye Lager, Gruit Ale oder Mint Stout.
Nun zu den Bieren, die ich verkostet habe: Das sonnengelbe Session Pale Ale der Esten hat nur zarte 3,5 Prozent, aber einen wahnsinnig fruchtigen Duft nach Maracuja, Papaya und frischgemähtem Gras. Am Gaumen präsentiert sich „Craft FM“ erfrischend-leicht mit deutlicher Herbe und tropischen Noten.
Tanker Brewery „Red Rain“
Etwas ungewöhnlicher kommt das „Red Rain“ mit sieben Prozent daher. Das Sauerbier ist mit schwarzen Johannisbeeren gebraut und zeigt sich daher in einer rubinroten Farbe. Es strömen Aromen von Sauerkirsche und schwarzen Beeren in die Nase. Dazu paart sich mit großer Eleganz ein animalischer Touch der Brettanomyces-Hefe. Auf der Zunge überzeugt das Ale mit einer süßlich-sauren Kombination, die tatsächlich an schwarze Johannisbeeren erinnert. Die Säure bleibt noch einige Zeit am Gaumen zurück.
Fazit: Das Pale Ale ist für mich wieder mal ein ideales Beispiel, an dem man erkennt, dass auch ein hervorragendes Geschmacksabenteuer ohne viel Alkoholprozent an den Gaumen gezaubert werden kann. „Red Rain“ dagegen ist ein idealer Aperitif, dessen Säure und Fruchtaromatik sofort den Appetit anregt. Kompliment nach Estland!