Auf der Suche nach immer neuen Rohstoffkombinationen setzen Kreativbrauer jetzt vermehrt auf frische Wildkräuter, Baumharz oder Zirbenzapfen. Einige stellen sogar ganze Waldserien mit einzigartigen Aromen ins Regal.
Noch bevor die Hopfenpflanze ihren Siegeszug begann, waren Wälder ein beliebter Rohstofflieferant für jede Form von Bier. Vor allem die Germanen galten als besonders erfindungsreich. Um ihr Lieblingsgetränk haltbarer zu machen, es zu stärken und zu aromatisieren, nutzten sie für ihren Sud alles was sie zwischen Bäumen und Sträuchern in der Wildnis fanden. Jahrhundertelang sagte man solchen Kreationen auch eine heilende Wirkung nach. Seefahrer wie der Brite James Cook bunkerten auf ihren Entdeckungsreisen gleich fässerweise den waldigen Trunk um Vitaminmangel und Skorbut vorzubeugen.
Jetzt, rund 400 Jahre später, besinnen sich viele Craft-Brauer dieser alten Tradition und würzen ihre Biere wieder mit natürlichen Zutaten aus dem Wald. Dabei geht es weniger um die heilende Wirkung, als vielmehr um Geschmack. Wohl jeder Bier-Aficionado kennt die belgischen Aromabomben, die mit frischen Himbeeren, Holunder oder Waldkirschen angesetzt werden. Doch die wirklich spannenden Experimente finden sich heute bei Rohstoffen wie Wachholder, Baumharz, Tannennadeln, Lärchen- oder Zirbenzapfen. Wegbereiter dieser Waldbiere sind die Skandinavier, aber auch im nördlichen Osteuropa dienen die riesigen Forste seit jeher als Rohstofflieferant für besondere Sude.
Inzwischen widmen sich einige Nordlandbrauer diese Bierspezialitäten wieder mit Leib und Seele. So legte das Team der Põhjala Brauerei aus Tallinn gleich eine ganze Wald-Serie auf. Neben einem IPA und einer Imperial Gose mit Preiselbeeren, führen die Esten auch ein Black IPA mit frischen Blaubeeren im Angebot. Kenner dürften sich aber auch für ein achtprozentiges Brown Ale namens „Kalana“ begeistern, das mit handgepflückten Kiefernadeln aus der Region Kalana gebraut ist. Duft und Aroma zeigen prägnant harzige Noten, die sich mit einer gewissen Röstigkeit und sanften Vanille-Tönen zu einem harmonischen Trunk ergänzen. Ebenso spannend ist auch das 12,3-prozentige Barrel Aged Imperial Gruit namens „Laugas“, das die Põhjala-Truppe mit verschiedenen estnischen Kräutern und Wachholderbeeren aus den heimischen Waldgebieten braut. Nach einer Reifephase im Bourbon-Fass bringt das Bier kräftige Malznoten und Holztöne an den Gaumen, die sich mit den Aromen von Wachholderbeeren und Kräutern verbinden.
Auch deutsche Brauer begeben sich immer häufiger ins Gehölz. Waldig-harzig präsentiert sich beispielsweise das „Needle Juice“ von Kuehn Kunz Rosen auf der Zunge. Das Mainzer Craft-Kollektiv legte diesen Sud speziell für eine Biermesse auf, um zu demonstrieren, dass Konsumenten sich nicht immer nur mit dem Reinheitsgebot zufriedengeben müssen. So rührte Rezeptgeber Heiko Müller zusammen mit Braumeister Hans Wägner neben Rauchmalz und US-Hopfen noch getrocknete Fichtennadeln in den Kessel. Ergebnis: Ein ungewöhnlicher Waldtrunk mit kräftigen Harzaromen.
Ähnliche Rezepturen stehen auch bei US-Brauern auf der Zutatenliste. So etwa bei der Alaskan Brewing Company aus Juneau: Im Portfolio gibt es ein India Pale Ale, das von den Brauern ebenfalls mit Fichtenspitzen aromatisiert wird. Auch die umtriebigen Crafter von Left Hand Brewing in Longmont im US-Bundestaat Colorado spielen bei ihrem 6,8-prozentigen IPA namens „Pride Runs Deep“ mit erdigen, mentholartigen und harzigen Noten von den Spitzen der Blaufichte.
Wahre Genussbiere aus selbstgesuchten Wildzutaten führt dagegen Axel Kiesby aus dem österreichischen Obertrum fest im Angebot. Für seine „Waldbiere“ streift der Brauer auf der Suche nach ungewöhnlichen Rohstoffen noch selbst durch heimische Mischwälder. In Kiesbys Sorten bestimmen Zutaten wie Zirbenzapfen, Lärchennadeln, Schwarzkiefer-Harz sowie frische Maitriebe der Tanne den Geschmack. Mit einem ganz besonderen Aromaspiel wartet seine Kreation „Wacholder“ auf. Rund 20 Kilo des Zypressengewächses packt er in den Braukessel und erzielt damit ein 7,2-prozentiges Strong Ale, das mit süßlich-herben Fruchtnoten überrascht. Einen Teil der Beeren legt der Waldbier-Produzent noch als Extrakick in 80-prozentigen Kornbrand ein und lässt sie anschließend mehrere Wochen im Ale mitreifen. Das Resultat ist eine Craft-Spezialität, die an einen Gin-Cocktail erinnert und so manchen Barmix-Klassiker in den Schatten stellt.
Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.
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