Welcher Genussmensch würde schon frisches Seafood verschmähen. Warum also nicht auch mal Zutaten aus dem Ozean in den Sud. Wer da nur an fischige Aromen denkt, liegt aber komplett falsch.

Bier und Meeresgetier – das passt! Aber Meeresgetier ins Bier? Da mag selbst der hartgesottenste Craft-Fan etwas überrascht sein. Vor allem, wenn ihn beispielsweise das Flaschenetikett des „Oyster Stouts“ der Porterhouse Brauerei in Dublin vorwarnt: „Nicht geeignet für Vegetarier“. Hier tummeln sich tatsächlich frische Austern im Sud.
Auch wenn solche Raritäten so manchen Craft-Novizen abschrecken mögen, so gelten gerade diese Biere als wahre Spezialitäten. Wer also mal zufällig einen dieser Sude mit Zutaten aus dem Ozean, aus Flüssen oder Seen erhaschen kann, sollte unbedingt zugreifen. So ein Bier gleicht keineswegs einer Mutprobe mit ungewissem Ausgang, sondern eher einem Flirt mit maritimen Aromen.
In der Welt der Craft-Biere lassen sich inzwischen dutzende von Oyster-Ales entdecken. Aber die Experimentierfreude hört bei den Edel-Mollusken noch lange nicht auf. In den Kessel kommen auch diverse Algensorten, Tintenfisch, Hummer oder umstrittenes Walfleisch aus Island. Auch wenn sich diese Beigaben nicht immer direkt herausschmecken lassen, so ist dennoch ein Hauch von Meeresgetier mit dezentem Salzcharakter vorhanden.
Selbst einige deutsche Brauer sind bei solchen Suden vorne mit dabei. Das wahrscheinlich erste Oyster Stout braute hierzulande schon 2013 die heutige „Bierfabrik“ in Berlin, die damals noch Beer4Wedding hieß. Frische Schalentiere sowie die Beigabe von Schokolade und Kaffee gaben ihrer Kreation einen ganz besonderen Kick. Aber es sind heute wohl eher US-Brauer, wie etwa die kalifornische Henhouse Brewing Company mit ihrem pechschwarzen, 7,9-prozentigen Oyster Stout oder die Flying Dog Brewery in Maryland mit ihrem röstnotigen “Pearl Necklace Oyster Stout“, die in der Craft-Szene mit Mollusken-Bieren für Furore sorgen.
Dabei kann die Verwendung von Austern im Bier auf eine lange Geschichte zurückblicken. Schon im 19. Jahrhundert verkochten englische und irische Brauer Austernschalen im Sud. Angeblich waren es dann die Neuseeländer, die einige Jahrzehnte später ganze Austern in die kochende Bierwürze gaben. Zur gleichen Zeit düngten die Schotten ihr Braukorn mit würzigem Seegras. Die Williams Brothers Brewing Company aus Alloa, nördlich Edinburgh, ist eine der schottischen Brauereien, die noch immer mit ihrem „Kelpie Seaweed Ale“ experimentieren.
Ungewöhnliche Meeressude finden Craft-Enthusiasten inzwischen jedoch inzwischen selbst im Herzen der Toskana. Dort produziert Guiseppe Granello in seiner Mikrobrauerei, in steinwurfnähe zum schiefen Turm zu Pisa, in kleinen Mengen ein tiefschwarzes Oktopus-Bier, das mit der Tinte des Achtfüßlers angesetzt wurde. Wer es jedoch besonders salzig mag, der sollte gleich das American Blonde Ale „Er Boquerón“ der Brauerei La Socarrada aus dem spanischen Xativia probieren. Das wurde direkt mit Meerwasser gebraut.
In Milton, im US-Staat Delaware, residiert sogar eine Brauerei, bei der schon der Name auf einen Umgang mit seetauglichen Bieren verweist. Die Dogfish Head Brewery experimentiert mit vielerlei Zutaten aus dem Meer. Star in der Produktpalette ist jedoch das limitierte „Chocolate Lobster“, ein Bier, das auf Porter-Basis mit frischen Hummern gebraut wurde, die beim Kochen zusammen mit Kakao-Pulver und Basilikum-Tee direkt in den Sud gegeben wurden. Das Ergebnis: Ein dunkelbraunes Stout mit 5,6 Prozent Alkohol, Noten von Zartbitterschokolade und Basilikum sowie einem Hauch von Schalengetier. Bekannt ist der US-Brauer auch für ein grünes Algenbier, das im Dortmunder-Stil und mit der Zugabe von Spirulina-Tank unter dem Namen „Verdi Verdi Good“ in die Regalen kommt.
Algenbiere gibt es aber auch in Neuzelle, im südöstlichen Brandenburg. Die dortige Klosterbrauerei zaubert ein „Anti-Aging-Bier“ ins Glas, bei dessen Genuss der Braumeister sogar ewige Jugend verspricht. Das Schwarzbier ist ebenfalls mit proteinhaltigen Spirulina-Algen gebraut, die in stark alkalischen Salzseen beheimatet sind. Ihnen wird eine positive Wirkung bei Allergien, Krebsvorsorge sowie bei der Stärkung des Immunsystem nachgesagt.
Bei so viel Gesundheit möchte auch David Hertel, mit seiner Braumanufaktur im oberfränkischen Schlüsselfeld nicht nachtsehen. Der 28-jährige Jungbrauer zelebrierte unlängst ein Brown Ale, dem er ebenfalls vitaminreiche Algen beifügt. Dabei setzt er nicht auf salzigen Tankgeschmack, sondern vielmehr auf extreme Schaumstabilität. Auf seine „steinharte Bierkrone“, bei der das Seegemüse eine zentrale Rolle spielt, ist Hertel besonders stolz: „Selbst, wenn das Bier schon ausgetrunken ist, steht der Schaum noch lange wie eine Eins im Glas.“
Erschienen im Meiningers CRAFT Magazin für Bierkultur.
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