Gerstensaft mit Gottes Segen

Bayerische Klöster zählen zu den ältesten, noch existierenden Braustätten der Welt. Seit rund tausend Jahren rühren Nonnen und Mönche hier noch immer nach uralten Rezepten ein heiliges Bier.

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Nettes Gespräch mit Schwester Doris vom Kloster Mallersdorf

Wer einmal im Biergarten des Kloster Mallersdorf mit der Nonne Doris ein paar Helle getrunken hat, der erfährt, wie ein richtig gutes Traditionsbier schmecken muss. Dort etwa 20 Kilometer südlich von Regensburg auf einem Hügel mit Blick über Feld und Wald braut die Ordensschwester, deren Konterfei jedes Flaschenetikett schmückt, seit 50 Jahren kräftige, naturtrübe Sude und hat damit längst Kultstatus erreicht. Mallersdorf ist eines der letzten Klöster in Europa, wo Nonnen noch am Maischetrog stehen. Während süßer Malzgeruch die Abendluft schwängert, philosophiert die heute 66-jährige in der schwarzen Ordenstracht der Franziskanerinnen mit freundlichem und verschmitztem Blick über den sakralen Sinn des Gerstensaftes. Aber was hat Gott eigentlich mit Bier zu tun? „Wenn der Himmelsvater hier dabei wäre“, schmunzelt Doris Engelhard, „dann hätte er bestimmt eine Halbe mitgetrunken.“

Abteien wie im oberbayerischen Mallersdorf gelten noch heute als Gralshüter gepflegter Brautradition. Der Siegeszug der Klosterbiere begann etwa im 11. Jahrhundert. Angeblich waren es zuerst geschäftstüchtige Zisterzienser-Mönche, die den Marktwert des Gerstensaftes erkannten, ihn mit Hopfen haltbar und zu einem erträglichen Geschäft für Klöster und Stifte machten. Nachdem Mönche und Nonnen in grauer Vorzeit meist nur für den Eigenbedarf brauten, erwarben sie alsbald fürstliche Schankrechte und begannen vermehrt das Bier in eigenen Zechstuben auszuschenken. Ihre Sude waren im Gegensatz zu weltlichen Brauereimanufakturen in puncto Qualität und Preis meist konkurrenzlos. Hopfen und Braugetreide wurde auf eigenen Feldern angebaut, Wasser kam aus dem Klosterbrunnen und die Abteien mussten anfangs keine Steuern zahlen. Auch glänzte das Klosterbier meist durch bessere Trinkbarkeit als die Panschereien vieler städtischer Wirte. Ihr Vorteil: In kühlen Kellen und Gewölben der Abteien war das Bier auch länger haltbar.

Im 19. Jahrhundert gehörte zu fast jedem Kloster eine eigene Brauerei. Von einstmals rund 350 dieser Braustätten sind deutschlandweit nur noch rund ein Dutzend verblieben –  fast ausschließlich in Bayern. Aber nur in sechs Abteien stehen tatsächlich Mönchen und Nonnen noch selbst am Sudkessel. Das meiste Bier wird indes entweder von angeheuerten Braumeistern oder von kooperierenden Privatbrauereien mit klösterlicher Geschichte produziert. Da es chick ist, wenn Mönche als Qualitätssymbol für den Brauberuf den Bierdeckel zieren, sind heute noch viele Mogelpackungen mit frommen Markennamen unterwegs. Einige Produzenten, die unter bekannten Ordensnamen segeln, fühlen sich jedoch der Klostertradition verpflichtet und brauen ihr Bier nach alten Rezepturen weiter: darunter die altehrwürdige Weihenstephaner Brauerei, aber auch Paulaner, Franziskaner und die Augustiner Brauerei. Der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder, der in seinem Buch „Bier – eine Geschichte von der Steinzeit bis heute“ auch die Historie der Abteien aufarbeitete, bekräftigt: “Klosterbrauereien haben seit mehr als tausend Jahren einen ganz maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Braukunst in Deutschland.“

Als Erfolgsbeispiel jahrhundertealter Gastlichkeit gilt die bayerische Klosterbrauerei Andechs – idyllisch gelegen zwischen Starnberger See und Ammersee – in der bereits seit 1455 nahrhafte Biere gebraut werden. Hier köcheln zwar seit Ende der 60er Jahre die Mönche nicht mehr selbst den Sud, leiten aber noch immer den Brauereibetrieb. Alljährlich belagern rund eine Million Menschen den heiligen Klosterberg der letzten Benediktinermönche mit grandiosen Blick in die oberbayerische Bilderbuchlandschaft. An sonnigen Wochenenden herrscht dort Oktoberfeststimmung. Blasmusik, wilde Gesänge und das klirren der Bierkrüge ergeben einen unvergleichlichen Andechs-Sound.  Wer wüste Trinkgelage weniger schätzt, kann sich im Biergarten der Klosterschenke an sechs traditionellen Biersorten laben. Mehr als 100000 Hektoliter werden hier gebraut und teilweise um die Welt geschifft. Kenner schätzen vor allem die gefürchteten Starkbiere „Andechser Bergbock Hell“ und „Andechser Doppelbock Dunkel“. Während nur noch ein halbes Dutzend Mönche den heiligen Berg bewohnen, sorgen inzwischen rund 200 Mitarbeiter für das Wohl der Gäste.

In der barocken Klosteranlage zu Weltenburg geht es etwas gemütlicher zu. Seit 1040 brauten Mönche in der ältesten noch existierende Klosterbrauerei der Welt malzbetonte Biere nach traditionellen Rezepturen. Inzwischen ist es jedoch ein angestellter Braumeister, der im kirchlichen Klosterbetrieb seinem Handwerk nachgeht. Die im 7. Jahrhundert gegründete Benediktiner-Abtei nahe Ingolstadt liegt in einer Flussschlinge oberhalb des romantischen Donaudurchbruchs. In einem der schönsten Biergärten der ganzen Region lassen sich am Donauufer alle bayerischen Bierklassiker degustieren. Vorzeigebeispiel ist der „Weltenburger Kloster Asam Bock“ – ein kräftiger und fast kaffeefarbener Doppelbock mit malzig-aromatisch süßem Duft und Geschmack sowie das „Weltenburger Kloster Barock Dunkel“, das zweimal mit dem renommierten World Beer Award als bestes Dunkelbier der Welt ausgezeichnet wurde. „Die Qualität und Reinheit eines mit regionalen Rohstoffen gebrauten Klosterbieres lässt sich nicht so leicht überbieten“, huldigt Weltenburger Brauereidirektor Hermann Goß seine Traditionsbiere, von denen er nur beschaubare 30.000 Hektoliter per Anno braut.

Auch im Kloster Ettal, zwischen Garmisch-Partenkirchen und Oberammergau, steht nicht mehr Bruder Kellermeister am Braukessel, eine zusätzliche Weißbier-Kooperation mit dem Bitburg-Konzern sorgt für adäquates Know-How. Zur 1330 gegründeten Abtei gehören einigen landwirtschaftliche Betriebe, mehrere Gasthöfe und eine Destillerie, wo auch süffige Klosterliköre angeboten werden. Solide Biere nach deutschem Reinheitsgebot bilden das Standardsortiment, von dem sich vor allem der Ettaler Winterbock abhebt. Das Kloster mit seinem gigantischen Barock-Komplex, hat sich – ebenso wie Andechs – zu einem allumfassenden Wirtschaftsbetrieb entwickelt, der neben Bier und Likör auch Öle, Teesorten, und Duftwässer vertreibt.

Ettal, Andechs und Weltenburg zählen zu den größten und bekanntesten deutschen Klöstern, die sich noch altehrwürdiger Braukunst verschrieben haben. Aber auch kleinere Abteien rühmen sich ihrer jahrhundertealten Biertradition. Im 1618 gegründeten Franziskanerinnenkloster Reutberg am idyllischen Kirchsee bei Bad Tölz, braut heute eine regionale Genossenschaft zehn Sorten handwerkliches Bier nach Rezepturen der einstigen Kirchenfrauen. Westlich von Augsburg hüten ebenfalls Franziskanerinnen das Brauhaus im Kloster Ursberg, wo ein angestellter Braumeister ein bernsteinfarbenes  Märzenbier verantwortet.  Dass kein Mönch mehr bei ihm am Sudkessel steht, stört Ursberger-Chef Bernd Schramm wenig:  „Wir brauen noch immer ein überliefertes Bier, das sicherlich auch die nächsten Jahrhunderte überdauern wird.“

Weltliche Experten zaubern auch bei den männlichen Franziskanern im Kloster Kreuzberg einen weitgerühmten Gerstensaft aus dem Tank. Der Abtei-Komplex trohnt seit 1692 auf dem 928 Meter hohen Kreuzberg in der Röhn. Auf dem heiligen Berg der Franken nehmen alljährlich mehr als eine halbe Million Wallfahrer den Maßkrug in die Hand. Durch die unterfränkische Höhenlage wurde bis in die 50er Jahre hinein das Bier in großen Eichenfässern nur mit Schnee und Eis gekühlt. Heute werden rund 8500 Hektoliter von sieben Mönchen und rund 70 Mitarbeitern gebraut und in kleinen Fässern vertrieben.

Auf eine bewegte Geschichte können auch die Abtei Marienstatt – kann auch das Benediktinerkloster Scheyern zurückblicken. Bereits seit 1119 wird dort südlich Pfaffenhofen an der Ilm traditioneller Gerstensaft hergestellt. Aber erst nach einer langen Verpachtungsphase wird seit 2006 wieder unter der Regie der Kirchenmänner und in Kooperation mit der Fürther Tucher-Brauerei und mit einem privaten Brauchef – wieder im Kloster produziert.

20160505_192735Dass  Nonnen und Ordensbrüder über Jahrhunderte ihre Biertradition pflegen,  hat einen plausiblen Grund. In der Fastenzeit musste „flüssiges Brot“ die feste Nahrung ersetzen und war somit ein wichtiger Baustein in der Ernährung der Klosterbewohner.  Eine Tagesration von fünf Liter Bier galt dabei keineswegs als Ausnahme. Ob das zum Dauerrausch führte, ist jedoch nicht überliefert.  Kult-Nonne Doris und ihre 500 Schwestern trinken im Kloster Mallerssdorf heute jedoch in kleineren Dosierungen – aber eine Halbe zur jeder Mahlzeit gehört dazu. Mit Gästen trinkt die Ordensschwester gern auch mal einen Humpen naturtrübes Helles nebenbei. Ihre Tage beginnen bereits vor Sonnenaufgang, und das macht Durst. Aber trotz hartem Klosterleben bleibt Nonne Engelhard stets gelassen: „ Wir denken nicht in Dimensionen wie Geschäftserfolg oder Gewinnmaximierung, unser Ziel ist, dass unser Bier auch noch in hundert Jahren schmeckt.“

Erschienen im Bier Spezial des Focus Magazins.

 

 

 

 

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