Städte-Special Göteborg: Hochburg schwedischer Biere

Mutige Brauer mit unkonventionellen Ideen, kreative Bierstile und eine quirlige Kneipenkultur: In Göteborg tobt eine aufregende Craft-Szene. Eine Tour durch die City beweist, warum die Universitätsstadt an der Westküste Schwedens der Bier-Hotspots Nummer Eins im Lande ist.

Brewers Beer Bar

Stockholm kennt wohl jeder. Aber unter Bierreisenden gilt Göteborg als wahrer Geheimtipp. In der zweitgrößten Stadt des Landes, die im kommenden Jahr ihren 400. Geburtstag feiert, leben knapp 600.000 Einwohner. Aber die schwedische West-Metropole, durch die sich idyllisch der Fluss Göta älv schlängelt, hat neben Scherengärten, verträumten Altstadtgassen, dem beliebten Liseberg Freizeitpark sowie einem berühmten Fischmarkt, noch einiges mehr zu bieten: In der quirligen Studentenstadt pulsiert eine spannende Craft-Bierszene, die unter Schwedens Genießern heute absoluten Kultstatus genießt.

Die City am Kattegat ist inzwischen einer der bedeutendsten Bier-Hotspots in Skandinavien. Neben mehr als ein Dutzend hippen Kneipen mit unberechenbarer Bierauswahl sind viele Micro-Brauereien, aber auch renommierte Marken mit wie Stigbergets oder Poppels in Göteborg ansässig, deren Sude die Herzen von Craft-Fans rund um den Globus höherschlagen lassen. Rund 35 Craft-Stätten tummeln sich hier – mehr als in den meisten bundesdeutschen Millionenmetropolen.

Die erste Brauerei in der Stadt gründete 1649 ein Deutscher namens Johan Casparsson Poppelman, die allerdings 1835 wieder schließen musste. Eine weitere Legende in der Göteborger-Biergeschichte ist der Schotte Georg Carnegie, der 1745 wegen eines gescheiterten Aufstandes nach Göteborg floh und dort eine Brauerei gründete. In Glanzzeiten soll diese mehrere Millionen Liter Porter im Jahr produziert haben. „Carnegie Porter“ gilt somit als älteste schwedische Marke, die heute noch existiert und von der schwedischen Großbrauerei Nya Carnegiebryggeriet produziert wird.

Braustätten in Göteborg gelten seit jeher als beliebt. Grund dafür war einst der boomende Exportmarkt, ausgelöst durch die Globalisierung im 18. Jahrhundert. Die schwedische Ostindien-Kompanie hatte damals eine hohe Bedeutung für die Wirtschaft. So wurden neben unterschiedlichsten Waren auch jede Menge Bier in den Fernen Osten verschifft. Im Jahr 1813 wurde die East India Company zwar geschlossen, aber in Göteborg rauchten die Brauereischornsteine weiter. Irgendwann ließ der Erfolg jedoch nach. Alte Backsteingebäude, in denen große Bierproduzenten wie Pripps und Lyckholms ansässig waren, stehen zwar immer noch, die Brauereien wurden aber inzwischen von Carlsberg aufgekauft und anschließend geschlossen. Um die 2000er Wende stand es dann wirklich katastrophal um die Bierszene in Göteborg.

Erst mit der Gründung der ersten Mikrobrauereien in der Stadt nahm die Szene wieder Fahrt auf. Als einer der wichtigsten Craft-Pioniere gilt Mikael Dugge Engström, der 2005 am südlichen Rand von Göteborg die Dugges Bryggeri in Mölndal gründete. Sein erstes Bier war ein fünfprozentiges amerikanisches Pale Ale namens „Avenyn Ale“, das Mikael für ein angenehm tropisches Aroma auch heute noch mit den Hopfensorten Cascade, Chinook, Citra und Simcoe braut. Die Nachfrage wuchs schnell, denn solche Biere waren auch den Schweden bis dahin unbekannt. Im ersten Jahr produzierte Engström rund 300 Hektoliter. Durch seinen Erfolg war die Kapazität seiner Anlage schon vier Jahre später mit 1.500 Hektolitern ausgereizt und ein größerer Standort mit einem Ausstoß rund 7.000 Hektolitern musste her.

Heute steht die Braustätte in Landvetter, etwas östlich der City von Göteborg. Im Dugges-Portfolio befinden sich neben diversen Pale Ales und India Pale Ales mittlerweile auch einige Frucht-Sauerbiere mit Birnen oder Erdbeeren sowie ein 11,5-prozentiges Imperial Stout mit Mango, Kokosnuss und Tonkabohnen. Hinzu kommen fassgereifte Spezialitäten aus Rotwein-, Whisky- und Sude, die in karibischen Rum-Fässern gelagert werden. Damit hat Ensgtröm noch lange nicht genug: „Wir wollen unsere Kapazitäten noch weiter ausbauen und unseren Traum, ungewöhnliche Biere zu brauen, auf jeden Fall weiterleben“.

Als besonders innovativ gilt auch die 2012 gegründete Poppels Bryggeri in Jonsered, nordöstlich vom Stadtzentrum gelegen. Das Gründerteam startete vor acht Jahren mit einem Brown Ale und legte dann ein amerikanische Pale Ale vor, das heute zu den nationalen Lieblingsbieren der Schweden gehört und in jedem „Systembolaget“, also den speziellen Alkoholgeschäften in Schweden, verfügbar ist. Bei ihren Bieren schwören die Newcomer auf hohe Bioqualität der Rohstoffe. Somit ist Poppels nicht nur eine der bekanntesten, sondern inzwischen auch die größte Bio-Brauerei Schwedens.

Credit: Poppels

Wie gut die Biere aus Jonsered ankommen, zeigt auch die Nachfrage von „Project 003“. Das Imperial Saison, gebraut mit Johannisbeeren, war bereits wenige Minuten nach Veröffentlichung komplett ausverkauft. Aber ihren Erfolg erzielt die Poppels Bryggeri auch durch die Leidenschaft zur Kombination von Essen und Bier. Das Team arbeitet eng mit Köchen und Lebensmittelherstellern zusammen. So basiert die gesamte Speisekarte im eigenen Brauerei-Restaurant auf Foodpairings mit Bier. Das Corona-Virus hinterlässt zwar auch seine Spuren in der schwedischen Gastronomie und in der Bierbranche, aber Magnus Pettersson von Poppels ist zuversichtlich: „Unsere Verkäufe laufen weiterhin hervorragend, sodass unser Unternehmen zum Glück noch immer absolut stabil ist.”

Etwas stärker von den Covid-Auswirkungen betroffen, scheint die 2012 gegründete Craft-Stätte Beerbliothek im Südwesten der Stadt. Nach eigenen Aussagen seien die Verkäufe an Restaurants und Bars in den vergangenen Monaten um 70 Prozent zurückgegangen. Das Team um die Gründer Adam Norman, Richard Bull und Darryl de Necker riefen allerdings eine erfolgreiche Social Media-Kampagne für den Kauf lokaler Biere ins Leben. Der Bierabsatz rund um den Kirchturm sei dadurch, laut aktueller Zahlen, um 45 Prozent gestiegen. Ursprünglich begannen die Schweden als hochkreative Hobbybrauer, die allein im Gründungsjahr schon 43 Biere auf den Markt brachten. Auf jeder Dose steht noch heute die chronologische Nummer des Suds. Zur Core-Range gehören neben leichtem Session IPAs und hopfig-fruchtigem IPAs auch ein elfprozentiges Imperial Stout sowie ein unfiltriertes Pils mit deutschen und nordamerikanischen Hopfensorten.

Neben ihren Klassikern setzen die Beerbliothek-Macher vor allem auf ungewöhnliche Experimente. Im Sortiment finden Bierliebhaber daher auch ein Oat Stout mit speziellem „Tarrazu“-Kaffee, eine Gose mit Mango, Melone, Maracuja und Stachelbeere oder aber ein IPA mit Kokosmilch und ein kaltgehopftes Sauerbier mit Orangenschalen. „Unsere Brauphilosophie ist relativ einfach“, betont Gründer Darryl de Necker, „wir produzieren ausschließlich Biere, die wir selbst trinken wollen.“ Gerade habe das Team einen Sud mit der Folgenummer 287 eingebraut. Frisch gezapft finden Aficionados diese Spezialitäten vor allem im hauseigenen Taproom am Varholmsgatan 4.

Ein eigener Schankraum gehört in der schwedischen Craft-Szene zum Erfolgsrezept. Diese Erfolgsformel haben auch die Macher von Stigbergets umgesetzt. Ihre Marke gilt als neuer Stern am schwedischen Craft-Bierhimmel. Gegründet wurde die Braustätte vor sieben Jahren mit der Intention ein Bier nur für das städtische Kino in Göteborg zu brauen. Inzwischen wird Braumeister Oli Banks schon international für seine IPAs gefeiert. Als Flaggschiff gilt sein „Amazing Haze“, das wohl das erste New England IPA in ganz Schweden war und auch schon reichlich Preise absahnte. Das 6,5-prozentige Bier legt Noten von Mango, Papaya und Pinie vor und wird von einer sanften Bittere abgerundet. Neben NEIPAs setz Banks jetzt auch immer mehr auf spontan vergorene Biere, experimentiert auch mit Fassreifung und arbeitet an Sorten mit weniger als 3,5 Prozent Alkohol. „Die Nachfrage nach aromatischen Leichtbieren steigt derzeit in Schweden deutlich an“, sagt der Stigbergets Braumeister, „wir hoffen, dass wir mit diesem Bierstil da noch einiges in Bewegung bringen können.“

An Ideen mangelt es jedenfalls den vielen Craft-Stätten in Göteborg nicht. So zählt auch das Team von Beersmiths zur Kreativ-Liga der Szene. Die junge Erfolgsbrauerei riefen der Brite Dave Barrat und sein Partnerin Malin vor fünf Jahren im Süden des Zentrums ins Leben. Vor der Gründung war Dave schon mehr als 30 Jahre als Freizeitbrauer tätig. Sein Traum war es aber schon immer eine eigenen Braustätte zu besitzen und seine Sude kommerziell zu verkaufen. Das gelang ihm in Göteborg. Im Portfolio von Beersmiths finden Craft-Fans neben diversen Lagern und IPAs auch ein NEIPA mit Laktose und Orange, eine Berliner Weiße, die für ihre rote Farbe und das fruchtige Aroma auf Kirschen gereift ist oder aber ein belgisches Witbier mit Lavendel.

Cooles Design von 0/0

Zu den innovativen Craft-Brauereien Göteborgs gehören außerdem O/O Brewing im Norden, All in Brewing am Hafen des Viertels Västra Eriksberg oder Barlind Beer auf der Insel Bohus-Björkö im Scheren-Archipel vor den Türen der Stadt gelegen. Letztere ist vor allem bekannt für ihr preisgekröntes IPA. Wer intensiv in die Szene Göteborgs und die Welt der lokalen Biere eintauchen will, der sollte unbedingt in den hippen Craft-Bars der Innenstadt einkehren. Zu den Highlights zählen etwa die beiden Locations der „Brewers Beer Bar“ mit wechselnden Suden vom Hahn. Hier gibt es zum Bier übrigens auch die angeblich beste Sauerteigpizza der Stadt. In der Nähe des Shoppingcenters Nordstan befindet sich der Pub „Ölrepubliken“ mit 30 Bieren vom Hahn und mehr als 200 verschiedenen Sorten aus Flasche und Dose. Aber auch die Craft-Kneipe „3 Små Rum“ lässt mit wechselndem Angebot die Herzen von Bier-Fans höherschlagen. Auch Brewdog und Omnipollo sind mit eigenen Bars in der Stadt vertreten.

Craftbier-Bar „Wärdshuset Tullen“

Mit diesem Angebot zählt Göteborg wohl zurecht als Bierhauptstadt Schwedens. Wer einmal durch die Brauereien, Taprooms und Kneipen der Stadt gezogen ist, wird von der Vielfalt der Szene begeistert sein. Die Biere der Craft-Zauberer sind bekannt für einen eigenen Touch: Egal ob klassisches Lager, hopfige IPAs, deftige Stouts oder fassgereifte Spezialitäten sowie kreative Sauerbiere, es gibt wahrscheinlich keinen Bierstil und kein Experiment, das die schwedischen Craft-Brauer auslassen. Und das Beste: Die Szene wächst immer weiter.

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.

Stigbergets: Ein India Pale Ale der Spitzenklasse

Stigbergets Amazing Haze„Amazing Haze“ zählt laut ratebeer.com zu den besten New England IPAs der Welt. Das schwedische Craft von der Stigbergets Brauerei aus Göteborg – 2012 gegründet und vor knapp zwei Jahren komplett modernisiert – ist mit der amerikanischen Hopfensorte Mosaic gleich doppelt gestopft.

Schon am Duft merke ich, dass die Schweden keinesfalls mit dem Hopfen gespart haben. Seinem Namen macht das 5,6-prozentige Bier alle Ehre. Es ist stiltypisch total trüb und glimmert in einem appetitanregenden Honiggelb durch die Glaswand. In die Nase strömt eine erstaunliche Fülle an Aromen: Mango, Maracuja, Papaya, Stachelbeere und ein Hauch roter Waldbeeren vereinen sich zu einem umfassenden Fruchtbukett. Auf der Zunge präsentiert sich das IPA vollmundig mit einem besonders sanften Mundgefühl – das liegt wohl an der Kombination von Weizen- und Hafermalz. Auch am Gaumen zeigt der Mosaic-Hopfen seine Wirkung. Tropische Noten von Maracuja und Mango gehen eine Symbiose mit Noten von Stachelbeere und frisch gemähtem Gras ein. Im Abgang verabschiedete sich „Amazing Haze“ mit einer deutlichen, aber keineswegs anstrengenden Bittere. Außerdem bleiben die Fruchtaromen noch einige Zeit zurück.

Fazit: Ich stimme den ratebeer-Usern definitiv zu. Das schwedische New England IPA ist wirklich ein stiltypisches Musterbeispiel der feinsten Art. Und ja, ich liebe die tropischen Aromen des Mosaic Hopfens. „Amazing Haze“ ist für mich eine erfrischende Fruchtbombe für alle Tage.