Wildwuchs aus dem Fass

Nach Hopfen und Malz etabliert sich jetzt die Hefe zum neuen Rohstoff-Star vieler Craft-Brauer. Als echte Königsdisziplin allerdings gilt die Spontangärung mit wilden Hefen im belgischen Lambic-Stil. Den Original-Suden folgen nun auch immer mehr moderne Interpretationen.

Hefe in Arbeit

Selbst abgehärtete Craft-Profis, die zum ersten Mal eine belgische Traditionsbrauerei betreten, wirken häufig betroffen und verwirrt: feuchte Gemäuer, muffiger und modriger Geruch und an den Wänden kleben dicke Spinnweben. Ein solches Ambiente bedeutet aber keinesfalls, dass die Macher der Braustätte nicht sauber arbeiten. Um den einzigartigen Geschmack ihrer Lambic-Biere zu erzielen, benötigen sie exakt dieses Umfeld, um den wilden Hefen für ihre Spontangärung einen idealen Lebensraum zu bieten.

Solche spontanvergorenen Biere, sollen angeblich im 15. Jahrhundert südwestlich von Brüssel, im flämischen Pajottenland, entstanden sein. Heute tragen Lambic-Biere das EU-Gütesiegel als „garantierte traditionelle Spezialität“ und gelten als besonders edle, komplexe und saure Klassiker. Zur Familie dieser Bier gehören auch Varianten wie Gueuze, Kriek und Faro. Seit das traditionell hergestellte Lambic von der Slow Food-Bewegung in die „Arche des Geschmacks“ aufgenommen wurde, wächst die internationale Nachfrage stetig und die Preise schießen seit einigen Jahren durch die Decke. Manche Sorten werden im Internet bereits zu Wucherpreisen im dreistelligen Bereich vertickt.

Bei einer solchen Erfolgsgeschichte wundert es nicht, dass sich auch immer mehr Kreativbrauer außerhalb von Belgien an solch wilde Spezialitäten wagen. Crafties aus den USA sind ganz vorne mit dabei. Als einer der Vorreiter bei wilden Suden gilt die Dovetail Brewery in Chicago. Die beiden Braumeister Hagen Dost und Bill Wesselink lernten sich bei der Ausbildung in der Doemens Akademie nahe München kennen und waren bereits begeistert von belgischen Lambics, bevor sie überhaupt ihre eigene Brauerei gründeten. Schon bei der Planung der Dovetail-Braustätte war ihnen klar, dass sie auch mit wilden Hefen arbeiten möchten. Noch immer gehen Dost und Wesselink beinahe ehrfürchtig an den Bierstil heran und bezeichnen ihre Sorten lediglich als „Lambic Style“. „Uns ist klar, dass es echte Lambics nur in Belgien geben kann“, urteilt Brauer Dost, „wir haben in unserem fast hundertjährigen Gebäude zwar wilde Hefen, aber die Mikroflora ist eine ganz andere und nicht mit dem belgischen Original vergleichbar.“

Durch ihr spezielles Herstellungsverfahren schaffen es die Belgier das einzigartige Lambic-Aroma zu bewahren. Gebraut wird das Bier mit rund 30 Prozent Rohweizen sowie mit gealtertem Hopfen. Nach dem Kochvorgang, der bei Lambics etwa vier Stunden dauert, läuft die Würze in ein offenes Kühlschiff. Jetzt wird’s wild, denn nun fallen die Hefen – meist handelt es sich um Brettanomyces bruxellensis und Brettanomyces lambicus – aus den alten Gemäuern in die Würze und setzen spontan die Gärung in Gang. Anschließend kommt das Bier ein bis drei Jahre zur Reifung ins Holzfass. Hier nimmt es verstärkt seine komplexe und animalische anmutende Charakteristik an. Der Hauptteil der Mikroorganismen für die Gärung, also rund 80 Prozent, steuert die Fassgärung bei. Nach der Reifung im Holz geht es in die Flasche zur Nachgärung.

An diese traditionellen Prozesse wagen sich auch Jeff Stuffings und Michael Steffing von der Brauerei Jester King in Austin, Texas. Dabei kommt ihnen zugute, dass Ihre Braustätte sich auf einem alten Landgut befindet. So haben sich die beiden Chefs auf die Fahnen geschrieben, nur natürliche Rohstoffe aus eigenem Anbau oder aus der Region zu nutzen. Vor knapp acht Jahren entschlossen sich die Gründer auch wilde Hefen zu nutzen. Sie kauften ein Kühlschiff, in dem sie die Würze über Nacht ruhen lassen, um die Gärung in Gang zu setzen. Stuffings und Steffing sehen Spontangärung als natürliche Erweiterung ihrer Mission. Sie wollen mit all ihren Bieren den Konsumenten ein Gefühl für den Herstellungsort schaffen. Ungewöhnlich für klassische Lambics: Im Portfolio finden die Fans von Jester King auch wilde Biere, die mit Zutaten wie Hagebutten, Zitronengras, Wachholderzweigen, Blaubeeren, Weißweintrauben, Fenchel oder Brennnesseln gewürzt sind. „Die Gärung mit Organismen, die wir in unserer Umgebung biologisch gewonnen haben, ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Bierportfolios“, betont Stuffings stolz.

Jester KIng Breweing – Credit: Granger Coats

Der Trend zur eigenen Mikroflora und der Art, ein Bier im Stil eines belgischen Lambics herzustellen, zieht sich inzwischen quer durch die ganze USA. So hat sich auch das Brau-Team von Fermentery Form in Philadelphia oder aber Trevor Rogers und seine Frau Linsey von De Garde Brewing aus Tillamook in Oregon auf die traditionelle Herstellung dieser Biersorte spezialisiert. Die Rogers verwenden für einen zusätzlichen Geschmacks-Kick gern auch Früchte bei der Gärung. So gibt es aktuell das 6,5-pozentige „The Peach“ mit Pfirsichen, dass zwei Jahre in Eichenfässern reifte sowie eine Version mit Nektarinen und Boysenbeeren, eine amerikanische Züchtung aus Brombeeren und Loganbeeren. Als extravagant gilt allerdings „The Archer Réserve“, das mit Pinot Noir-Trauben versetzt ist und in vier Jahre alten Fässern ausgebaut wird.

Credit: Grimm Ales

Anders als die Brauer von De Garde, Dovetail und Jester King arbeitet das New Yorker Team von Grimm Artisanal Ales. Joe und Lauren Grimm sind fasziniert von Hefe, besitzen aber kein klassisches Kühlschiff. Ihr Trick: Sie lassen die Sudkessel einfach über Nacht offenstehen, um die Würze mit den Mikroorganismen aus der Brauereiluft zu „impfen“. Anschließend füllen sie die Sude in Fässer unterschiedlichen Alters und Eigenschaften. Nach der Reifung verschneiden sie im Gueuze-Stil die verschiedenen Chargen miteinander. Ein Highlight des Grimm-Gespanns: Ein spontanvergorenes, siebenprozentiges Bier namens „Open Work Riesling“, welches durch die Spontanhefe und die Lagerung in Weinfässern zarte blumige Noten sowie Aromen von Zitronenschale und Honig mit sich bringt.

Die verschiedenen Interpretationen spontanvergorener Biere beweisen, dass auch bei diesem traditionellen Herstellungsprozess der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind. Den Brauern ist dabei aber durchaus bewusst, dass es kaum möglich ist, ein echtes belgisches Lambic zu kopieren, zumal sich die dafür erforderlichen Mikroorganismen nun mal gerade nicht im Rest der Welt aufhalten.

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.