San Diego: Quirlige Craft-Metropole am Pazifik

In keiner amerikanischen Stadt tobt die Craft-Szene so turbulent wie in San Diego. Die südkalifornische Metropole gilt mit mehr als 150 Brauereien und unzähligen Taprooms inzwischen als Bierhauptstadt des Landes.

Taproom Modern Times

Für Standardtouristen ist San Diego eine wohl eher langweilige und ziemlich uninteressante Stadt. Sie besitzt neben einem berühmten Safari-Park und einer Sea-World mit dressierten Orcas und Delphinen kaum nennenswerte Sehenswürdigkeiten. Dennoch erfreuen sich die Einwohner im gemäßigten Pazifikklima von Südkalifornien an einem besonderen Privileg: In keiner anderen Metropole der USA gibt es mehr Brauereien und Craft-Bierkneipen als am Rande der San Diego Bay. Craft-Fans, die durch Stadtteile wie North Park oder Miramar schlendern, stoßen an jeder Ecke auf eine spannende Brauerei nach der anderen – meist mit eigenem Taproom. Und wer die Strecken nach anhaltenden Biergenuss nicht mehr allein per Fuß zurücklegen kann, dem bieten sich spezielle Bustouren an, die Besucher von Brewpub zu Brewpub kutschieren – ganz nach dem Sightseeing-Konzept „Hop-on, Hop-off“.

Zwischen Robben-Strand, Balboa Park und Gaslamp Quarter dreht sich in San Diego fast alles nur um das Thema Bier. In der 1,4 Millionenmetropole – kleiner als Hamburg oder München – residieren mehr als 150 Craft-Brauereien neben unzähligen Brewpubs und Taprooms. Hier gibt es Hopfensäfte, die man nirgendwo sonst im Lande finden kann. Lokale Pioniere wie Stone Brewing, Karl Strauss Brewing, Ballast Point, Pizza Port Brewing, Coronado Brewing oder AleSmith zündeten in den 1980er- und 1990er Jahren hier ein Feuerwerk, das den Ruf der kalifornischen Craft-Landschaft maßgeblich beeinflusste. Die Szene reicht heute von versteckten Hinterhof- und quirligen Nano-Brauereien bis hin zu weltbekannten Craft-Stätten, die als Begründer des stark hopfigen Westcoast-Styles gelten. Und wenn mal eine der vielen Micro-Brauereien schließt, heizt nebenan schon die nächste ihre Kessel an.

Wer jedoch glaubt, dass die Biergeschichte von San Diego erst mit der Craft-Bewegung begann, der irrt sich. Schon 1897 eröffnete ein gewisser Conrad Doblier die San Diego Brewery, die allerdings schon zwanzig Jahre später durch die Prohibition geschlossen wurde. Von 1920 an war Produktion, Handel und Verkauf von Alkohol, also auch von Bier, strikt untersagt. Durstige Bürger mussten damals die nahgelegene Grenze nach Mexiko überqueren, um sich dort mit alkoholischen Getränken einzudecken. Erst 1933, nach dem staatlichen Alkoholverbot, nahm das Bierbrauen in Kalifornien wieder Fahrt auf. Als Geburtsstunde der Craft-Bierszene gelten jedoch erst die frühen 1980er Jahre, als die US-Regierung endlich Brewpubs legalisierte. Die meisten Macher starteten damals ihre Bier-Karriere, wie auch in anderen amerikanischen Regionen, ganz klassisch als Hobbybrauer.

Kairoa Brewing

So auch Joe Peach, der vor rund zwanzig Jahren mit seiner Familie aus dem neuseeländischen Christchurch nach San Diego kam. Zunächst arbeitete er in einer der größeren Brauereien, um das Brauhandwerk zu lernen, dann entwickelte Peach zuhause eigene Rezepte. Erst Anfang dieses Jahres erfüllte er sich gemeinsam mit seinem Bruder Oliver den Traum einer eigenen Braustätte, die unter dem Namen Kairoa Brewing, im lebhaften University Hights Viertel zu eine der angesagtesten Craft-Stationen der Stadt zählt. Kairoa Brewing mit angeschlossenem Taproom, Restaurant und gemütlicher Dachterrasse im Lounge-Style wurde nur wenige Monate nach der Opening-Party vom City-Magazin zur besten neuen Brauerei San Diegos ausgezeichnet. „Um sich in solch einer Bierstadt zu behaupten, braucht man ein absolutes Alleinstellungsmerkmal“, betont Joe Peach, „und das haben wir durch den besonderen neuseeländischen Touch in unserer Location und mit unseren Bieren geschafft.“

Das spezielle Charakteristikum der Kairoa-Biere ist der Hopfen. Joe Peach verwendet ausschließlich Sorten aus Neuseeland. Und dass, obwohl er sich besonders gern auch mit deutschen Bierstilen beschäftigt. So wagte sich der kalifornische Newcomer schon an Münchner Dunkel und besondere Pils-Variationen, die er aber immer mit einem speziellen Twist präsentiert. Sein 5,6-prozentiges, goldglänzendes „Back Paddock“ ist beispielsweise mit 100 Prozent Pilsner Malz gebraut und bekommt ein blumiges und tropische Aromaspiel von Motueka- sowie Wakatu-Hopfen aus Neuseeland. Der experimentierfreudige Wahl-Kalifornier führt aber auch Sude wie belgisches Blond, diverse Pale Ales, tropische India Pale Ales sowie achtprozentige Imperial Stouts im Portfolio, für die er gern auch mal Himbeeren, Kakao, Banane, Kokosnuss oder Vanille in die Kessel packt.

Societe Brewing

Experimentierlust treibt auch das Team um Travis Smith und Douglas Constantiner von Societe Brewing im Stadtteil Kearny Mesa an. Die beiden Bierenthusiasten lernten sich zwar in einer anderen Brauerei kennen, entdeckten dort aber ihre „exzentrischen Philosophien über das Brauen“, wie sie beide sagen. Ihre Sude teilen sie bewusst in verschiedene Kategorien ein: Hopfige Biere im San Diego Style, dunkle Variationen, fassgelagerte Spezialitäten sowie klassische Sorten wie belgische Ales oder deutsche Interpretationen wie etwa ein Oktoberfest-Lager namens „Die Kellnerin“. Probieren können Aficionados die Biere im brauereieigenen Taproom mit Blick auf glänzende Silberkessel und gestapelte Holzfässer. Den Brauereinamen wählten die Gründer übrigens als Hommage an das Produkt Bier „als größte soziale Einheit des Planeten“: „Es bringt Menschen seit Jahrhunderten zusammen – ganz egal welche Klasse, Religion, Geschlecht oder Alter“, bekräftigt Smith.

AleSmith

Auch für das Team von AleSmith Brewing, das im August bereits auf den 24. Brauerei-Geburtstag angestoßen hat, steht Bier im Zentrum ihres Schaffens. So erweiterte Brauereichef Peter Zien immer wieder die Produktion sowie den Verkostungsraum, der derzeit zum größten in ganz San Diego zählt. Dort treffen sich die Hop-Heads der Stadt, um beispielsweise das „San Diego Pale Ale 394“ zu probieren. Dabei geht es um ein schlankes, fruchtiges Bier mit hoher Drinkability. Der Kollaborationssud entstand mit tatkräftiger Unterstützung eines durstigen Baseball-Teams. Aushängeschild von AleSmith, die laut einiger Online-Foren zu den besten Brauereien der USA gehört, ist das zwölfprozentige, pechschwarze „Speedway Stout“ mit 70 Bittereinheiten, das mit geröstetem Kaffee gebraut wird. Inzwischen gibt es mehrere Varianten des beliebten Kult-Stouts, auch eine fassgelagerte Version.

Modern Times

Damit liegt die Brauerei gut im Trend, denn fassgereifte Spezialitäten sind an San Diegos Theken derzeit gefragter denn je. Der aktuelle Megatrend unter den südkalifornischen Craft-Zauberern geht allerdings gerade in Richtung aromatischer Sauerbiere. Fast jede Bier-Manufaktur an der Bay führt so eine saure Spezialität im Portfolio. Sei es die Kreativstätte Modern Times im Midway District, dessen Brauer beispielsweise eine Gose in Dosen füllen, die sie mit Maracuja und Guave brauen, oder die 32 North Brewing, die eine schlanke, 4,1-prozentigen Berliner Weiße mit Pfirsich im Sortiment führt. Dazu gehören auch die Brauer von Bitter Brothers im Stadtviertel Bay Ho, die ihr Golden Sour zur Vollendung noch in blaufränkische Rotweinfässer legen, um Aromen von Kirschen und Himbeere zu erzielen.

Wer in San Diego auf der Suche nach Sauerbieren ist, der kommt auch an California Wild Ales im nördlich der Stadt gelegenen Sorrento Valley nicht vorbei. Die Brauereichefs haben sich nahezu ausschließlich auf saure Sude spezialisiert, die sie zur Veredelung in zuvor unterschiedlich belegte Holzfässer füllen. Zu den beliebtesten Sorten der Kalifornier zählen die „Gose Loco“, die in Tequila-Fässern mit Limettensaft, Salz und Koriander für vier Monate heranreift oder etwa das „Upheaval“-Ale, das ein Jahr in frischgeleerten Cabernet- und Spätburgunder-Fässern sowie zusätzlich noch drei Monate in der Flasche schlummert, bevor es über die Theke geht. „Wir sind stolz darauf in einer Stadt, die überwiegend von Westcoast Style IPAs dominiert wird, nur fassgereifte Sauerbiere anzubieten“, betont Brauerei-Mitgründer William DeWitt. So würden sich ihre Biere von vielen anderen Brauereien abheben.

Tasting-Flights bei Amplified

Bei der ungewöhnlichen Biervielfalt in San Diego liegt es auf der Hand, dass sich engagierte Brauer immer neue Spezialitäten ausdenken müssen, um im hartumkämpften Markt bestehen zu können. Das schafft zum Beispiel auch Amplified Ale Works ganz gut, die in ihrem Tasting-Studio im Stadtteil Miramar die Komponenten Bier und Musik miteinander verbinden. Bei harten Rockklängen können Besucher verschiedene Tasting-Flights mit diversen Suden in Form von Gitarren ordern und dazu auf einem Großbildschirm Live-Konzerte ansehen.

Wer es jedoch etwas ruhiger mag, braucht nur eine Tür weitergehen und landet beim Team von Pure Project Brewing, das seine Bier-Location mit Hängepflanzen, Gras und Moos verziert hat. Damit wollen die Craft-Brauer den unverwechselbaren südkalifornischen Stil vorleben. Auch ihre Biere kombinieren sie mit einzigartigen Aromen und Zutaten. Im Sudkessel landen nicht selten Hibiskus-Blüten, Ingwer, Ahornsirup, Brombeeren, Bio-Erdbeeren oder lokaler Honig.

In diesem kreativen Umfeld muss sich einer der Platzhirsche, die international renommierte Stone Brewing, anstrengen. Vor 23 Jahren startete Greg Koch mit seinem Geschäftspartner Steve Wagner als Micro-Brauerei und zählt heute zu den zehn größten Kreativbrauereien der USA. Zum Stone-Imperium mit mehr als 1000 Mitarbeitern im nördlich von San Diego gelegenen Escondido gehören innerhalb eines hektar-großen Garten-Areals, neben Brauerei und Verwaltung auch eine Outdoor-Bar und ein schickes Bistro mit Blick auf eine stattlichen Sudkessel. Hier, in der „Stone Brewing World Bistro & Garden“, dem Hotspot von Craft-Geeks aus aller Welt, herrscht ein buntes Treiben. Stone-Gründer Greg Koch freut sich über die dynamische Entwicklung in seiner Heimatstadt: „Es ist großartig, dass sich San Diego zum Bier-Mekka der USA entwickelt hat und wir einen großen Teil dazu beitragen konnten.“

Erschienen im Meininger’s CRAFT Magazin für Bierkultur.