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Mein ganz persönlicher Kommentar: Craft-Brauer am Marterpfahl

Liebe Bierfreunde,

gestern fiel mir per Zufall ein Genuss-Magazin in die Hände mit dem Namen „Fine“. Als ich dort unter der Überschrift „Auge, Nase, Mund“ einen Artikel über die deutsche Bierkultur las, hat mich die kalte Wut erfasst. Ich zitiere im Original:

Foto: Elena Hasenbeck

(…) Doch seit einigen Jahren tritt ein Wandel ein: Da macht eine Avantgarde von sich reden – sogenannte Mikrobrauereien, die mit Mikrobieren und Craftbieren das Bier als Kulturgut und authentischen Genuss propagieren. Diese Bewegung kommt vor allem aus Amerika und hat in Österreich oder Italien viel schneller Fuß gefasst als in Deutschland. Doch wenn man genau hinschmeckt, erkennt man, dass diese Biere zwar sehr ambitioniert sind, doch fehlt ihnen genau das, was den Schatz deutscher Bierkultur ausmacht: Eleganz und Intensität ohne Schwere. All die Double- und Triple-Biere, die IPAs und AIPAs, bei denen es oft darum geht, das Bier durch zweifache oder gar dreifache Gärung zu hohen Alkoholgraden zu bringen, künden eher von technologischem Fetischismus und lassen den Charme eines feingliedrigen, eleganten Pils schmerzlich missen.

Wer heute einen unverstellten Blick auf die deutsche Bierkultur haben möchte, kommt mit ideologischen Begriffen wie Industrie versus Handwerk nicht weiter. Denn es sind gerade die großen Bierhersteller, die ähnlich wie die bedeutenden Champagnerhäuser das Potential haben, hohe Qualität zu gewährleisten. (…)

Craft-Bieren fehlen also nach Angaben des Autors wichtige Eigenschaften wie Eleganz und Intensität ohne Schwere, was schließlich deutsche Bierkultur ausmache. Er spricht von „technologischem Fetischismus“ und „vermisst schmerzlich den Charme eines feingliedrigen, eleganten Pils“. Aha, da kann der Kenner ja nur staunen. Entweder der Verfasser solcher Zeilen hat noch nie ein gutes Craft-Bier getrunken – sprich keine Ahnung – oder sein Artikel ist nur simple PR für die deutschen Massenbrauer. Denn wer das „Fine“-Magazin aufmerksam durchblättert, stell fest, dass die großen Bieranzeigen von Bitburger und Köstritzer kommen.

Was dem Verfasser offenbar entgangen ist, intensiver können die feinen Rohstoffe wohl kaum eingesetzt werden wie bei modernen Craft-Bieren. Meiner Meinung nach sind gerade die innovativen Kreationen das Kostbarste, was der Biermarkt seit Jahren hervorgebracht hat. Kreative Craft-Brauer erzeugen heute Aromen, von denen die Anbieter fernsehtauglicher Massenbiere nur träumen können. Fast alle Mikro-, Craft- oder Kuckucksbrauer liefern heute eine Qualität, für die Gourmets bereit sind, auch mal so viel zu bezahlen, wie sonst für einen guten Wein. Bei Innovativbrauern wird mit Herzblut und purer Leidenschaft gebraut. Sie drücken nicht nur ein paar Knöpfchen am Produktionscomputer um nach wenigen Stunden das Bier am Zapfhahn auszuschenken. Das ist wohl eher „technologischer Fetischismus“ in Reinkultur, hat aber mit Genuss nicht viel zu tun.

Im „Fine“-Artikel wird offensichtlich das Vorurteil gepflegt, dass sich Bierqualität nur über die abgesetzten Mengen definieren lässt. Hier geht es aber wohl eher um die Qualität der Werbung, die den Konsumenten zu den Allerweltsbieren verführt. Diese seelenlosen Durstlöscher sind ganz sicher nicht unschuldig am abnehmenden Bierkonsum und dem Brauereisterben in den vergangen Jahren. Bier nur gegen den Durst sind keine Alternative für junge Leute, die dann doch lieber Wasser trinken. Da kann man schließlich nur laut lachen, wenn der Autor gerade die großen Bierhersteller mit „bedeutenden Champagnerhäusern“ vergleicht, die seiner Meinung nach allein „das Potential haben, hohe Qualität zu gewährleisten“.

Solche Berichte schaden einer neuen Bierszene, die sich gerade emsig bemüht – jenseits vom Einheitsgeschmack – individuelle, kreative und qualitativ hochwertige Biere zu produzieren. Bei Craft-Brauern, die gerade dabei sind, sich einen kleinen Markt zu erschließen, kann es ums Überleben gehen, wenn solche Negativ-Artikel die Runde machen. Das Gleiche gilt für die vielen kleinen Händler, die mit viel Mut moderne Kreativbiere jetzt gerade in ihr Sortiment aufnehmen. Aber vielleicht ist es nur die Unkenntnis des Autors, der sich bei Wikipedia als unabhängiger Weinsachkundiger ausweist und ein Buch mit dem Titel „Die besten Supermarktweine“ veröffentlichte. Wahrscheinlich beziehen sich auch seine Bier-Recherchen allein auf Discounter-Regale, wo der Kasten Bier häufig schon unter fünf Euro gehandelt wird.

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